02.12.2024, 10:49 Uhr
«Europa steht wirtschaftlich unter Druck und muss seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen globalen Wirtschaftsmächten – insbesondere den USA – verbessern», heisst es im neuesten Marktausblick des...
Die Konjunkturentwicklung im zweiten Quartal hängt stark vom Krieg in der Ukraine und den steigenden Inflationsraten ab. Sébastien Galy von Nordea Asset Management analysiert die Auswirkungen auf die Wirtschaft der Eurozone und der USA und sieht in beiden Regionen reichlich Chancen bei festverzinslichen Wertpapieren.
Russland steht nach der Invasion der Ukraine mit dem Rücken zur Wand. Das Land ist mit schweren Sanktionen konfrontiert und erhält vorerst nur sehr begrenzte Unterstützung aus China. Wenn die Importe nach Russland mit der Zeit teurer und weniger werden, sei es nur eine Frage der Zeit, bis die russische Bevölkerung zunehmend unzufrieden werde, meint Sébastien Galy, Senior Macro Strategist bei Nordea Asset Management. Das werde die Regierung zwingen, ein neues Narrativ zu finden.
Vor diesem Hintergrund hoffe der Finanzmarkt auf das Beste, nämlich den Beginn ernsthafter Verhandlungen. "Im Wesentlichen glaubt der Markt, dass Russland nachgeben und in der Ukraine einen Kompromiss finden wird. Je länger Russland wartet, desto stärker wirken sich die Sanktionen aus und desto höher werden die Zinssätze steigen. Das deutet darauf hin, dass der Markt wahrscheinlich zu Recht vorsichtig optimistisch ist", erklärt Galy. Tatsächlich will sich Russland auf die "Befreiung" der Donbass-Region konzentrieren. Ob der Kreml den Neutralitätsanspruch der Ukraine akzeptieren wird, bleibt aber unklar.
Der Krieg in der Ukraine dürfte deutliche Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft haben. 2022 soll diese um 3,3% und im nächsten Jahr um 2,5% wachsen. Doch es bestehe das Risiko, dass die Schlagzeilen über den Krieg und die deutlich erhöhten Ölpreise zu Überreaktionen unter europäischen Haushalten führen könnten. Der Einbruch der deutschen Wachstumserwartung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung spiegle bereits einen Teil dieser Reaktionen.
Die EZB sei aber auch mit dem steigenden Risiko einer Lohninflation konfrontiert. Wenn die Notenbank das Asset Purchase Programme ab dem dritten Quartal 2022 einstellt, dürfte der Markt mit einem schnelleren Tempo der Zinserhöhungen rechnen. "Das ist ein heikles Unterfangen für die EZB, da die Eurozone auch einen Angebotsschock durch erhöhte Energiepreise und den Verlust des Zugangs zum russischen Markt erleidet", so Galy. Umgekehrt erwartet er, dass die Nachfrage in den USA und in China stabil bleiben sollte.
Im Bereich Fixed Income sei es gut möglich, dass das High-Yield-Angebot aus der europäischen Peripherie anwachse. Gleichzeitig seien europäische Aktien attraktiv bewertet. Besonders im Bereich ESG macht der Stratege interessante Investmentgelegenheiten aus.
In den Vereinigten Staaten besteht die Sorge, dass die Fed zu lange hinter der Kurve bleiben wird, was sie zu einer übermässigen Straffung zwingen und das Risiko einer Rezession heraufbeschwören könnte. Ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte unterstreiche die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios, da die Dynamik eines ungewöhnlich heissen Arbeitsmarktes schwer vorherzusagen sei. "Der Unterschied besteht diesmal darin, dass uns die Zwischenwahlen bevorstehen, für die die Inflation ein wichtiges Thema ist. Dies bedeutet, dass die Fed wahrscheinlich noch eine Weile versuchen wird, der Kurve voraus zu sein, und dies möglicherweise mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen fortsetzen wird. Der finale Zinssatz sollte also steigen. Doch vieles ist bereits eingepreist", erklärt Galy.
Das impliziere reichlich Chancen bei festverzinslichen Wertpapieren. Bei Aktien, wo die Bewertungen teuer bleiben, sei aber eine gewisse Vorsicht angebracht. Denn im Gegensatz zu festverzinslichen Wertpapieren herrsche auf den Aktienmärkten die Annahme von einem langen und reibungslosen Wachstumspfad vor.