23.12.2024, 08:37 Uhr
Der Spezialkunststoff-Hersteller Gurit will sich künftig ganz auf profitablere Regionen und Geschäftsbereiche konzentrieren. Im Zuge der angekündigten Restrukturierung sollen Werke in Dänemark, Indien und der...
Der Geist ist aus der Flasche – nicht im Märchen, sondern als bittere Realität. Wir spüren es im Supermarkt und an der Tankstelle, Unternehmen leiden unter massiv höheren Inputpreisen und schrumpfenden Margen. Die SNB hat mit ihrer Zinserhöhung Mitte Juni einen ersten Schritt aus dem Schatten der EZB getan. Eigenständigkeit zurückgewinnen muss ihr Ziel sein. Ein Kommentar des investrends.ch-Redaktors Hanspeter Frey.
Die Inflation lebt, nicht erst seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem damit verbundenen explosionsartigen Anstieg der Energie- und Getreidepreise. Sie ist im Grunde gar nie gestorben. Nur hatte sie sich zurückgezogen und ihr Gesicht lange Zeit – rund 15 Jahre – nur an den Finanz- und den Immobilienmärkten gezeigt. Aktien, Obligationen und Immobilien erfuhren eine gewaltige Wertsteigerung, wie sie nur selten vorkommt.
Ausgangspunkt dieses goldenen Zeitalters war ausgerechnet eine Finanzkrise. Zur Eindämmung der Bankenkrise 2008, die die ganze Finanzordnung zu Boden zu reissen drohte, pumpten die Zentralbanken enorme Summen ins System. Der Geldfluss setzte sich fort, ja wurde noch verstärkt, als wenig später der Euro in existenzielle Gefahr geriet. Die Worte des damaligen Präsidenten der EZB sind legendär: "Whatever it takes" – wir unternehmen alles, um die Eurozone zu retten.
Was damals als Notmassnahme gedacht war, zog sich später wie ein roter Faden durch die globale Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die Notenbanken drehten den Hahn immer weiter auf, senkten die Leitzinsen auf null oder darunter und kauften in zunehmendem Masse Staats- und andere Anleihen. Die Funktion des Obligationenmarktes als Seismograf für die zukünftige Entwicklung von Wirtschaft und Preisniveau war damit ausser Kraft gesetzt, Geld war zur Billigware für alles und jeden geworden. Auch die Regierungen, von wenigen Ausnahmen wie der Schweiz abgesehen, griffen eifrig zu. Die Staatsschulden erreichen heute Werte, die einem mit Blick auf einigermassen normale Zinsen das Fürchten lehren.
Das Rezept der unbeschränkten Geldschöpfung wirkte lange, ja scheinbar für immer. Das Perpetuum mobile, das kostenlose Schmiermittel für Wirtschaft, Finanzmärkte und Staatshaushalt, schien nach vielen Jahren ohne Rücksetzer geschaffen. Den Notenbanken wurde es bald selbst suspekt. Sie begannen vor den heissgelaufenen Immobilienmärkten, die sie mit ihrer Niedrigzinspolitik selbst befeuert hatten, zu warnen und wünschten sich ein Stück Inflation geradezu herbei.
Und wie so oft schwingt das Pendel stärker zurück als erwartet. Die Marktkräfte kann man auf Dauer so wenig ausschalten wie den Freiheitsdrang des Menschen. Ende 2021 begannen die Kapitalmarktrenditen plötzlich kräftig zu steigen. Unterbrochene Lieferketten und in der Corona-Pandemie reduzierte Produktionskapazitäten hatten Rohwaren- und Güterpreise in die Höhe getrieben.
Seit mit dem Ukraine-Krieg ein weiterer Preisschub hinzugekommen ist, gilt die noch letztes Jahr auch von den Notenbanken verbreitete Erklärung, der Preisanstieg sei lediglich ein Buckel, als überholt. Der Geist der Inflation ist aus der Flasche entwichen.
Ob man ihn da wieder reinbringt, ist offen. Das Wie jedoch ist vorgezeichnet. Während jüngere Generationen Inflationsraten wie jetzt nur aus der Geschichte kennen, erinnern sich die Älteren unter uns an die Erdölschocks der 1970er Jahre. Inflation und Zinsen erreichten damals in den USA Spitzenwerte von 12% resp. 16%. In der Schweiz kletterte die Inflation auf 7.5%, mit Zinsen von über 6%.
Einverstanden, Vergleiche hinken. Trotzdem fällt auf, dass damals wie heute dem Preisauftrieb ein Krieg vorausgegangen war. Arabische Ölstaaten versuchten nach dem Yom-Kippur-Krieg den Westen mit der Rohstoffwaffe zu erpressen, wie es jetzt Russlands Präsident Putin tut.
Mit radikalen Zinserhöhungen brachte seinerzeit Fed-Präsident Paul Volcker die Inflation unter Kontrolle, dies zulasten einer schweren Rezession. Ein dezidiertes Vorgehen braucht es auch heute, selbst wenn die Inflation kaum das damalige Niveau erreichen wird. Aber alarmierend ist die gegenwärtige Teuerung allemal. Auch ohne die zyklischen Komponenten Energie und Lebensmittel sorgen strukturelle Faktoren für latenten Auftrieb.
So gibt die rasch wachsende Zahl der Rentnerinnen und Rentner heute mehr Geld aus als frühere Generationen. Hingegen schrumpft die Zahl der Arbeitskräfte, was die Lohn-Preis-Spirale antreibt. Die Rückführung von dezentraler zu wieder mehr lokaler Produktion kostet. Das Gleiche gilt für den ökonomischen Umbau zu mehr Nachhaltigkeit. Und auch das Ende der Friedensdividende befeuert die Preise.
Um die Inflation unter Kontrolle zu bringen, müssen die Notenbanken die Geldpolitik derart stark straffen, dass sich das Wirtschaftswachstum bis auf das Potenzialwachstum abschwächt, sagt die Ökonomie. Wahrscheinlich fällt das Wachstum vorübergehend noch tiefer, denn eine Punktlandung, ein Soft Landing, ist noch selten gelungen.
Hanspeter Frey war bis zu seiner Pensionierung Redaktor bei «Finanz und Wirtschaft». Er leitete das Auslandressort, war später Chef vom Dienst und stv. Chefredaktor und verantwortete zuletzt die Spezialprodukte. Heute ist er selbständiger Wirtschaftsredaktor und arbeitet u. a. für «investrends.ch».
Der Beitrag ist erschienen im Magazin /sicht der St. Galler Kantonalbank vom 8. Juli.
Eine Katastrophe wäre das nicht. Eine Rezession geht vorüber, die Inflation bleibt, von der dritten Variante, einem Stück von beidem, der Stagflation, ganz zu schweigen. Eine Rezession, so schlimm das Wort klingt, würde die Verhältnisse wieder zurechtrücken: dem Kapitalmarkt seine Funktion zurückgeben, Sparen belohnen und Verschulden aufs Notwendige reduzieren. Sie würde Redundanz und Sicherheit stärken, Fehlentwicklungen stoppen, Qualität fördern und Stabilität zurückbringen.
All das zeichnet eine gesunde, innovative und wettbewerbskräftige Wirtschaft aus, wozu auch eine starke Währung gehört. Das gilt es mit aller Kraft zu bewahren. Tritt die SNB, wie sie es in einem ersten Schritt getan hat, noch stärker aus dem Schatten der EZB hervor und bleibt proaktiv, leistet auch sie einen wichtigen Beitrag zu einer starken Wirtschaft, einer dazugehörenden festen Währung und einem selbstbewussten Land.