Droht ein neuer "Wutanfall" der Anleihemärkte?

Wird es zu Massenentlassungen kommen, wenn die meisten Regierungen die Kurzarbeitsentschädigung verringern? (Bild: Shutterstock.com)
Wird es zu Massenentlassungen kommen, wenn die meisten Regierungen die Kurzarbeitsentschädigung verringern? (Bild: Shutterstock.com)

In der zweiten Jahreshälfte könnten die Märkte eine ähnlich heftige Reaktion erleben wie 2013, als die US-Zentralbank ankündigte, ihr Programm zur quantitativen Lockerung massiv zu reduzieren, meint Jim Leaviss von M&G Investments. Heute jedoch gehe es um das Ende der Kurzarbeitsentschädigung in den Industriestaaten.

11.08.2020, 10:25 Uhr

Redaktion: rem

In der ersten Jahreshälfte kam es zu einer der schnellsten und aggressivsten Marktkorrekturen der Geschichte. Ebenso beispiellos waren Geschwindigkeit und Ausmass der anschliessenden Erholung, was vor allem den Regierungen und Zentralbanken zu verdanken war. Wie geht es nun aber weiter? Die Staaten öffnen sich derzeit wieder, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Trotz des jüngsten Beschäftigungsaufschwungs ist die Arbeitslosigkeit immer noch aussergewöhnlich hoch. "Es wird wohl noch mehr fiskalische Anreize geben, der Schuldenstand wird weiter steigen", erwartet Jim Leaviss, CIO of Public Fixed Income Team bei M&G Investments.

Taper Tantrum 2020

In der zweiten Jahreshälfte werde sich alles um das neue Taper Tantrum drehen. Der Begriff geht auf das Jahr 2013 zurück. Damals ging es um die heftige Reaktion der Anleihemärkte, die zu einem rapiden Anstieg der Renditen der US-Staatsanleihen führte. Grund war die Ankündigung der Zentralbank, ihr Programm zur quantitativen Lockerung massiv zu reduzieren.

2020 könnte der Markt erneut eine ähnlich heftige Reaktion erleben. Heute jedoch gehe es um das Ende der Kurzarbeitsentschädigung in den Industriestaaten, so Leaviss. Die Länder öffnen sich wieder, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen, insbesondere auf der Nordhalbkugel. Trotz des jüngsten Beschäftigungsaufschwungs ist die Arbeitslosigkeit jedoch immer noch aussergewöhnlich hoch. In den USA ist sie gegenüber Februar um 12 Millionen Menschen gestiegen. Bislang wurde der wirtschaftliche Schaden, der dem Einzelnen zugefügt wurde, weitgehend durch Kurzarbeitsregelungen abgefedert, bei denen die Regierungen einen grossen Prozentsatz der Gehälter für die Arbeitnehmer zahlten, die andernfalls entlassen worden wären.

Dennoch: Die meisten Regierungen wollen noch in diesem Jahr die wirtschaftsfördernden Massnahmen verringern. Was geschieht dann? "Es wird wohl Massenentlassungen geben. Eine V-förmige Erholung ist also wenig wahrscheinlich; trotz niedriger Zinsen und einiger anhaltender fiskalischer Anreize", meint Leaviss.

Die Rückkehr der Inflation?

Macht dies eine Inflation wahrscheinlicher, fragt der CIO of Public Fixed Income Team bei M&G Investments weiter. Dies hänge weitgehend davon ab, wer den Kampf zwischen Arbeit und Kapital bei der wirtschaftlichen Erholung gewinne. Die Arbeit habe seit Jahrzehnten verloren. Wird Covid-19 das ändern? Die bisherigen Daten würden nicht dafür sprechen: Nach den jüngsten Untersuchungen des Think-Tanks des US-Brooking-Instituts sind es die untersten 20% der Lohnempfänger, die die höchsten Arbeitslosenquoten zu verzeichnen haben. So schwinden die Hoffnungen, dass gering bezahlte Schlüsselkräfte in der Krise – wie Krankenpflegekräfte, Auslieferungsfahrer oder Supermarktpersonal – belohnt werden. Es bestehe immer noch die Möglichkeit einer gewissen Inflation auf der Angebotsseite, wenn Lebensmittel nicht geerntet werden und die Logistik gestört ist: "Aber eine nachfragegesteuerte Inflation scheint sehr unwahrscheinlich", meint Leaviss.

Es ist eine verbreitete Weisheit, dass Quantative Easing Inflation bedeutet. Stimmt das? Die Geldmengenausweitung ist enorm, aber auch die Geschwindigkeit, mit der das Geld in der Wirtschaft zirkuliert. Einige argumentieren, dass die stärkste Wirkung von QE jene auf eine Währung ist: Wenn Geld gedruckt wird, wertet die Währung ab und Inflation wird durch höhere Preise für importierte Güter erzeugt. "Aber was ist, wenn jeder QE macht? Was ist, wenn jeder versucht, seine Währung zu Fall zu bringen? Dann bleibt die Wirkung aus", gibt Leaviss zu bedenken.

Arbeit vor Kapital?

Der neue Treiber der Märkte ist das beispiellose Ausmass der fiskalischen und monetären Stimulierung, gesteuert von technischen Faktoren und nicht von Fundamentaldaten. Leaviss fragt weiter: "Wie werden die Märkte nun das unvermeidliche Ende der Unterstützungsmassnahmen bewerten, das bereits in diesem Halbjahr kommen könnte? Wie werden wir aus all diesen Schulden herauskommen? Wachstum? Es erscheint nicht plausibel, dass das Wirtschaftswachstum nach dieser Krise höher sein wird als zuvor. Inflation? Die Zentralbanken haben ihre Inflationsziele auch in guten Zeiten nicht erreichen können. Staatsbankrotte? Es besteht kein Grund zur Zahlungsunfähigkeit, wenn jeder seine eigene Währung drucken kann. Und was passiert, wenn der Markt aufhört, zu glauben, dass die Zentralbanken unabhängig sind? Könnte das endlich der Auslöser dafür sein, dass die Inflationserwartungen in den Industrieländern zurückkehren? Wird der Faktor Arbeit nach Jahrzehnten der Verluste diesmal gegen die Macht des Kapitals gewinnen? Vielleicht müssen wir noch einige Jahre warten, um die Antworten zu erhalten.»

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