04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Vor knapp 40 Jahren startete Hanspeter Frey seine Karriere als Finanzjournalist bei «Finanz und Wirtschaft». Trotz Pensionierung bleibt Frey seinem Genre treu und arbeitet als Freelancer weiter. "Die Finanzmärkte sind spannender denn je", betont er im Gespräch mit Ralph Spillmann, Partner von Communicators.
Lieber Hanspeter, inwiefern unterscheidet sich ein Finanzredaktor von anderen Journalisten?
Hanspeter Frey: Die Kernaufgabe ist für alle Journalisten gleich: Das Informieren, Analysieren, Einordnen und allenfalls Kommentieren von Ereignissen, Entwicklungen und ihre Konsequenzen. Das alles in verständlicher Sprache, erst recht, wenn es sich um komplexe Themen handelt, die es herunterzubrechen gilt, ohne dass der Sachverhalt darunter leidet. Ein Unterschied ist, dass Finanzjournalisten relativ viel mit Zahlen zu tun haben. Wobei Zahlen allein noch nichts oder nur wenig aussagen. Man muss sie vergleichen, einordnen und in Zusammenhang mit dem übergeordneten Thema setzen. Und wichtig ist: So wenig Zahlen wie möglich im Text, sie ermüden die Leserin, den Leser schnell. Dafür sind Tabellen, Infografiken und auf online-Kanälen mehrdimensionale Formen das ideale Mittel.
Finanzjournalismus setzt also Fachwissen voraus!
Ja, und Erfahrung, aber das gilt auch für andere Sparten, den Wissenschaftsjournalismus zum Beispiel. Grundvoraussetzung ist ausser volks- und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen ein unvoreingenommener, nüchterner Blick auf Finanzmärkte, Branchen, Unternehmen usw. Gerade die Finanzmärkte sind kurzfristig oft emotional und von Schlagzeilen getrieben. Und Euch als Medienagentur muss ich nicht weismachen, dass bei Unternehmensmeldungen, auch bei denen, die von den Unternehmen selbst kommen, das Positive meistens etwas zu stark betont wird. Da gilt es, genau hinzuschauen, nachzufragen, ein Ereignis, eine Kursveränderung, als Teil einer Entwicklung zu sehen. Hier kritisiere ich die Massenmedien, die einen Börsenrückschlag um zwei oder drei Prozent an einem Tag häufig schon als Crash einstufen. Dabei sind das marktübliche Korrekturen. Für einen Crash braucht es schon einiges mehr.
Was fasziniert Dich an der Arbeit des Finanzjournalisten?
Mich faszinieren die Hintergründe, die Mechanismen, der Zusammenhang. Wie funktionieren die Finanzmärkte, die Unternehmen, die Wirtschaft, welche Personen stehen dahinter, mit welchen Fähigkeiten und Interessen? Auch wenn es vielen Leuten gar nicht bewusst ist: Was in der Wirtschaft passiert, betrifft alle. Und die Finanzmärkte sind besonders interessant, weil sie nicht nur wirtschaftliche Ereignisse, Innovationen, Erwartungen, aber auch Enttäuschungen spiegeln, sondern Politik, Gesellschaft, unser Leben insgesamt. Wissen und Zusammenhänge vermitteln, hinter die Fassade leuchten, ist das Faszinierende am Journalistenjob. Leider ist das Finanz- und Wirtschaftswissen in der Bevölkerung nicht besonders ausgeprägt. Das beginnt schon in der Schule, wo Wirtschaft kaum stattfindet. Die Wissensvermittlung halte ich für eine wichtig Aufgabe in unserer Branche.
Und die Leserinnen und Leser von Finanzmedien? Was wollen die?
Das Finanzpublikum - und da ziehe ich den Kreis ziemlich weit, weil die Überalterung der Bevölkerung die private finanzielle Vorsorge immer zwingender macht – ist in der Regel anlageorientiert. Leserinnen und Leser suchen Unterstützung und eine unabhängige Meinung, wie sie ihre Anlageziele erreichen können. Dazu braucht es Transparenz und Disziplin, denn der Lärm und die Komplexität im Anlagegeschäft haben massiv zugenommen. Es ist aber auch vieles besser geworden, gerade in Sachen Transparenz der Unternehmen. Zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich noch erlebt, wie kotierte Unternehmen nur einmal pro Jahr einen Abschluss veröffentlichten, oft rudimentär, mit haufenweise stillen Reserven, die je nach Geschäftsgang aufgestockt oder verzehrt wurden, so dass Jahr für Jahr fast die gleiche Gewinnentwicklung resultierte. Bei den Schweizer Grossbanken unterschied sich die ausgewiesene Gewinnsteigerung oft nur hinter dem Komma - unvorstellbar heute.
Das klingt nicht gerade nach Infotainment!
Je mehr man sich für Wirtschafts- und Finanzthemen interessiert, umso spannender wird es. Ist Tesla, ist der Trend zu Elektroautos langweilig? Nein. Pierin Vincenz und Raiffeisen? Die Detektivstory um CS? Eine Generalversammlung mit strittigen Themen? Die Rekordjagd des Dow Jones und SMI? Alles andere als langweilig. Ein anderes Beispiel sind astronomisch hohe Boni an Spitzenmanager, wie sie in der Finanzindustrie immer noch vorkommen. Für den Empfänger mögen sie sexy sein, manche Aktionäre, Mitarbeitende und das Publikum stossen sich zu Recht daran. Das sind alles andere als trockene Themen, wobei es nicht um Unterhaltung geht, sondern um Tatsachen, die ans Licht gehören.
Die Berichterstattung ist das eine, aber wie zuverlässig sind Analysen und Prognosen zu Unternehmen und Anlagemärkten?
Ich arbeite gerne mit Szenarien, und jedes Szenario hat eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, die sich über die Zeit verändert. Das zu analysieren und nachvollziehbar rüberzubringen, darin verstehe ich meine Aufgabe. Niemand kennt die Zukunft. Auf Börsengurus, die meistens Crashpropheten sind, höre ich deshalb nicht. Auch eine Uhr, die still steht, zeigt zweimal im Tag die richtige Zeit. Wo wir stehen, was die Optionen sind, wie bei welcher Entwicklung was vorkehren, was Trendwenden anzeigen, das ist unsere Aufgabe: Argumente, Orientierung und Meinungen bieten. Entscheiden muss jeder Anleger, jede Anlegerin selbst, und das wissen sie auch.
Du berichtest seit fast 40 Jahren über die Finanzmärkte. An welche Topstories erinnerst Du Dich am liebsten?
Mich freut, dass ich als Optimist gelte, man kann es auch Realist nennen. Denn ich bin vom längerfristigen Potenzial und der Überlegenheit von Aktien überzeugt, und wenn ich zurückblicke, lag ich damit mehrheitlich richtig. Selbstverständlich gibt es Rückschläge, aber auf sieben bis zehn Jahre hinaus lohnt sich ein Investment in gute Aktien zu 99, wenn nicht 100%. Der Aktienkurs orientiert sich am Unternehmenserfolg, und solid geführte, nachhaltig orientierte Unternehmen mit starker Marktposition und Innovationskraft setzen sich in jeder Situation durch.
Welche Ereignisse erwischten Dich auf dem falschen Fuss?
Was ich mir nie vorstellen konnte, sind Negativzinsen, eine inzwischen fast dauerhafte Erscheinung, ja Umkehr ökonomischer Gesetze: Bestrafe die Sparer und belohne die Schuldner. Wie so eine Wirtschaft gesunden soll, ist schleierhaft.
Welche Faktoren hatten in letzter Zeit den grössten Einfluss auf die Anlagemärkte?
In letzter Zeit sicher die Notenbanken. Die ultralockere Geldpolitik war sinnvoll in der Krise, verzerrt jedoch, je länger sie dauert, die Märkte. Das gute Szenario ist ein weiterhin anhaltendes, wenn auch mässiges wirtschaftliches Wachstum à la Japan, das schlechte ist Rezession mit Notenbanken, die ihre Munition verschossen haben.
Inwiefern haben sich die tragenden Themen verändert?
Auf Makroebene die Inflation. Sie war schon während meines Studiums und dann lange Zeit im Beruf das dominierende Thema, das Schlimmste aller Übel, das die Notenbanken selbst unter Inkaufnahme einer Rezession bekämpften. Heute sehnen die Zentralbanken Inflation herbei, und sie kommt nicht oder nur im Ansatz.
Wird der Einfluss von Nachhaltigkeit auf langfristige Anlagen heute korrekt eingeschätzt?
Jedes Unternehmen hat grösstes Interesse, seinen Erfolg langfristig zu bewahren oder noch zu steigern. Das setzt eine nachhaltige Strategie voraus. Nachhaltigkeit ist deshalb nichts Neues. Heute zielt der Begriff vor allem auf den Klimaschutz, was absolut berechtigt, ja notwendig ist. Doch aufgepasst: Vieles ist Marketing. Die Finanzindustrie hat ein Thema entdeckt, mit dem sich neues Geld verdienen lässt. Anleger müssen genau hinschauen. Manche Finanzprodukte schliessen nur ein paar wenige «sündige» Unternehmen aus, bezeichnen sich aber als voll nachhaltig.
Wie sah Dein Arbeitsalltag vor 40 Jahren aus?
Ein anderes Zeitalter: Ich schrieb auf einer Hermes-Baby-Schreibmaschine, viel Papier um mich, noch mehr Tippex, Kurscharts zeichneten wir von Hand, ab und zu der Gang zum Fernschreiber, um Agenturmeldungen zu sichten, Einzelbüro, Redaktionsschluss zwei bis drei Stunden vor Druckbeginn, und niemand, auch die Leser nicht, dachten, die Zeitung sei nicht aktuell.
Wie haben sich die Quellen verändert?
Sie haben sich inflationär vermehrt. Nicht im Print, aber im Netz – Newsletter, Blogs, Medienmitteilungen, Social Media, Google, Amazon, Studien, Analysen – das Rrelevante ist ein Bruchteil davon, aber nicht leicht von der Masse zu unterscheiden. Entscheidend ist immer noch ein breites Kontaktnetz, Zugang zu relevanten Personen in Unternehmen, an den Märkten, im Research, zu Strategen, zu Spezialisten, zu neutralen Personen. Auch wenn vieles heute im Netz abrufbar ist, den persönlichen Kontakt habe ich nicht nur am meisten geschätzt, er hat mir in meiner Arbeit auch am meisten geholfen.
Wie wertest Du den Einfluss von PR-Agenturen?
Ihr Einfluss war schon immer gross und hat noch zugenommen. Wer kann es einem unter immer grösseren Zeitdruck stehenden Redaktor, einer Redaktorin verübeln, wenn er oder sie auf ein journalistisch gut formuliertes Stück zurückgreift und mit wenig Federstrichen ein Abschnitt oder gar ein ganzer Artikel daraus wird? Redaktionen stehen unter immer höherem Zeit-, Personal- und Produktionsdruck. Immer weniger Personen bedienen immer mehr Kanäle: Print, online, Video, Blogs, Newsletter usw. Selbstverständlich hilft die Technik, aber Abstriche an der Qualität sind unumgänglich. Da können Verlagschefs noch so sehr das Gegenteil behaupten.
Und die Leserinnen und Leser? Wird für Qualität bezahlt?
Die Verlage haben in der Anfangseuphorie der online-Medien fast alles gratis auf den Markt geworfen. Zurückrudern mit dem gleichen Angebot ist schwierig, wenn nicht unmöglich, und das Angebot verbessern – siehe Spardruck und Qualitätseinbusse – die Quadratur des Kreises. Ich bezweifle auch, ob Medienhäusern, auch unter Inkaufnahme einer geringeren Rendite, auch wirklich alles Eerdenkliche tun, um ihren publizistischen Auftrag, ihre gesellschafts- und staatspolitische Aufgabe, die Begeisterung, die Journalistinnen und Journalisten nach wie vor für ihren Beruf aufbringen, zu bewahren. Mehr und mehr werden sie zu Warenhäusern, zu Konglomeraten, mit der Publizistik als Nebenrolle.
Finanzjournalismus scheint nicht nur Beruf, sondern auch Passion zu sein. Seit Deiner Pensionierung bei der Finanz und Wirtschaft arbeitest Du als Freelancer weiter!
Ja, die Finanzmärkte sind spannender denn je, und Wirtschaftsthemen faszinieren mich nach wie vor. Sich mit diesen lebendigen Themen zu befassen, sich auszutauschen und neues zu lernen, hält jung. Gleichzeitig profitiere ich von Erfahrung, schöneres kann ich mir kaum vorstellen.