23.12.2024, 08:37 Uhr
Der Spezialkunststoff-Hersteller Gurit will sich künftig ganz auf profitablere Regionen und Geschäftsbereiche konzentrieren. Im Zuge der angekündigten Restrukturierung sollen Werke in Dänemark, Indien und der...
Viel wurde darüber geschrieben, wie schwer es die amerikanische Notenbank hat. Sie will die Inflation von zurzeit 8,6% senken – ohne Rezession und massiven Stellenabbau. Und die Europäische Zentralbank? Sie hat zusätzlich mit unterschiedlichen Renditen der Euroländern zu kämpfen. Was tun? Eine Analyse von Neuberger Berman.
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) will Wachstum und Vollbeschäftigung, bei einer Ausgangslage mit negativen Leitzinsen und ebenfalls 8,6% Inflation. "Aber sie muss noch etwas anderes beachten: den Zinsabstand zwischen deutschen und südeuropäischen Staatsanleihen", betont Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income des US-Vermögensverwalters Neuberger Berman. "Vor zehn Jahren geriet der Euroraum dadurch in eine Existenzkrise"", fügt er an.
Am 21. Juli wird die EZB voraussichtlich Einzelheiten ihres "Anti-Fragmentierungsprogramms" zur Kontrolle der Zinsunterschiede resp. Spreads unter den Euroländern vorstellen. Wie wird es aussehen? Wird es reichen? Und ist es schon in den Kursen berücksichtigt?
Europa hat ein Inflationsproblem. Der Krieg in der Ukraine sorgt auf dem alten Kontinent für einen besonders starken Preisauftrieb. Als der EU-Inflationsindex in Deutschland, wie letzthin gemeldet, im Juni "nur" um 8,2% zum Vorjahr und nicht wie erwartet um 8,8% gestiegen war, machte sich Erleichterung breit.
In Spanien aber war die Inflation mit 10% hoch, und auch für den Euroraum als Ganzes wurde mit 8,6% eine hohe Teuerung ausgewiesen.
Wenig hilfreich ist diesbezüglich die Schwäche des Euros gegenüber dem US-Dollar. Seit Jahresbeginn hat die Gemeinschaftswährung über 8% an Wert verloren, was die Energieimporte noch teurer macht. Wenn schon die Fed zu spät auf die höhere Inflation reagiert, gilt das aus Sicht der Märkte erst recht für die EZB: Der Euro ist gefallen, obwohl man im Euroraum in den nächsten drei Jahren mit einer stärkeren Zinserhöhung rechnet als in den USA. Die immer schärfere Rhetorik von EZB-Chefin Christine Lagarde kommt daher nicht überraschend.
Die harten Worte führen jedoch zu einem Problem. Sie lassen nicht nur die Renditen deutscher Staatsanleihen steigen, die seit Jahresbeginn bereits um über 155 Basispunkte zugelegt haben, sondern weitaus mehr noch die Renditen in Südeuropa. Die viel beachtete italienische Zehnjahresrendite hat bereits um 212 Basispunkte zugelegt.
Als die EZB am 9. Juni das Ende des Quantitative Easings bekannt gab und mit Zinserhöhungen begann, stieg der Spread zwischen italienischen und deutschen Zehnjahresrenditen rasch auf 240 Basispunkte. Viele Investoren fürchten, dass bei einer Differenz von 250 Basispunkten die bekannten und gefährlichen Spekulationen über ein Auseinanderbrechen des Euroraums wieder aufflammen.
Eine straffere Geldpolitik lässt die Spreads zu italienischen Staatspapieren steigen, weil weniger grosszügige Kreditbedingungen das Wirtschaftswachstum des Landes dämpfen. Hinzu kommt, dass viele Investoren südeuropäische Anleihen leerverkaufen, um Portfolio- und Kreditrisiken zu mindern.
Daran ändert auch der recht gute Ausblick für Italiens fundamentale Situation nichts. Beim Staatsdefizit dürfte das Land sogar besser dastehen als andere Staaten im Euroraum, die mit hohen Ausgaben die inflationsbedingten Kaufkraftverluste mildern wollen.
Die EZB arbeitet daher an einem Anti-Fragmentierungsprogramm, damit die südeuropäischen Spreads beim Kampf gegen die Inflation nicht zu sehr steigen. Allein die Ankündigung des Programms reichte aus, dass die italienischen Spreads um über 50 Basispunkte fielen, aufs Niveau von Mitte Mai.
Ist der Optimismus des Marktes gerechtfertigt? Patrick Barbe zufolge gilt es diesbezüglich drei Fragen zu beantworten. Erste Frage: Werden die Anleihenkäufe im Rahmen des neuen Programms begrenzt oder an Bedingungen geknüpft? Es sei schwer vorstellbar, dass ein Kaufprogramm mit solchen Einschränkungen funktioniert. Der Markt würde in Versuchung geführt, es zu testen. Und zusätzliche Bedingungen könnten viele Länder davon abhalten, es zu nutzen, lautet seine Antwort.
Zweite Frage: Lassen sich Anleihenkäufe auf einzelne Länder beschränken? Früher richteten sich die Käufe nach dem Kapitalschlüssel des Eurosystems. Je grösser der Anteil eines Landes am Kapital der EZB war, desto mehr seiner Anleihen wurden gekauft.
Man kaufte also nicht gezielt die Titel jener Länder, die es am nötigsten hatten, führt der Fixed-Income-Spezialist aus, und meint: "Heute wäre das wohl ein noch grösseres Problem: Die EZB will ja gerade nicht, dass die kerneuropäischen Renditen fallen und damit der Inflationsdruck zunimmt." Das neue Instrument müsse sich daher auf bestimmte Länder konzentrieren. Vermutlich würden die Anleihenkäufe dann sterilisiert, damit die Geldmenge nicht steigt.
Und Frage drei: Wird mit den Käufen ein bestimmter, fundamental angemessener Spread angestrebt? "Wir glauben nicht, dass die EZB das für ihre Aufgabe hält. Das Programm soll vielmehr spekulative Spread-Ausweitungen verringern, indem es die Märkte davon überzeugt, dass Leerverkäufe südeuropäischer Anleihen kein wirksamer Risikoschutz mehr sind. Wenn das gelingt, können die Spreads über kurz oder lang wieder fundamental korrekt sein", erklärt Barbe.
Generell rechnet Neuberger Berman mit einem Programm, das so schnell aktiviert werden kann und an so wenige Bedingungen geknüpft ist wie die Outright Monetary Transactions (OMT) – und das, wie das Securities Markets Programme (SMP) Anleihen aus allen Ländern kaufen kann. Das Ziel dürfte sich aber von beiden Programmen unterscheiden. Die EZB wolle die Spekulation gegen südeuropäische Anleihen beenden und erreichen, dass die Spreads wieder zu den Fundamentaldaten zurückkehren.
Das US-Finanzhaus hält die Lage für besser als vor zehn Jahren. Der Krieg in der Ukraine habe die europäische Solidarität gestärkt. Italiens Premierminister Mario Draghi geniesse einen grossen Vertrauensvorschuss als hoch angesehener früherer EZB-Präsident. Am wichtigsten könnte aber sein, dass Deutschland, dessen Rolle in der letzten Krise kritisiert wurde, wegen der Energiepreisinflation jetzt ebenfalls grosses Interesse an einer Lösung hat.
Trotz des Rückgangs der Zinsdifferenzen nach Bekanntgabe der EZB-Pläne geht Neuberger Berman davon aus, dass die vollen Auswirkungen des Anti-Fragmentierungsprogramms noch nicht in den Spreads berücksichtigt sind: "Manche Spekulanten haben zwar schon das Handtuch geworfen, aber langfristige Investoren scheinen noch abzuwarten."
Rezessionen und eine negative Marktstimmung sind für alle risikobehafteten Wertpapiere schlecht – auch für italienische Staatsanleihen. Trotzdem denke man, dass die italienischen Spreads Im Sog des neuen Anti-Fragmentierungsprogramm zurückgehen könnten.