29.11.2024, 13:56 Uhr
«Die Inflation im Euroraum steigt, aber die Daten ermöglichen der EZB einen geldpolitischen Kurswechsel», schreibt Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price in seinem aktuellen Marktkommentar.
«Wir glauben nicht, dass jetzt die Zeit für grosse Marktwetten ist. Dennoch sehen wir viele Renditechancen», schreibt Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, EMEA bei Neuberger Berman.
Regelmässige Leser unserer CIO Weekly Perspectives wissen, dass wir an der diesjährigen Aktienmarktrallye gewisse Zweifel haben. Die strategische Asset-Allokation war zwar erfolgreich. Dennoch blieben wir vorsichtig, weil sich die Aktienmärke von den Fundamentaldaten zu entfernen schienen.
Je länger diese Divergenz anhielt, desto grössere Sorgen machte uns der Kursanstieg – zumal Geldmarkt und Kurzläufer hohe Renditen boten und sich Abwarten deshalb auszahlte. Letztendlich mussten wir jedoch aufgrund des Gleichgewichts zwischen Taktik und Strategie erkennen, dass die kurzfristige Dynamik zu stark war, um dagegen anzukämpfen. An unserem Mittelfristausblick hielten wir dennoch fest. Zur Jahresmitte wechselten wir zu einer neutralen Positionierung.
Neutral ist aber etwas anderes als statisch. Für uns stand fest, dass die Märkte nicht plötzlich anders funktionieren – und wir Aktien wohl irgendwann wieder untergewichten.
Noch halten wir die Zeit für grosse Über- und Untergewichtungen von Assetklassen und Risikofaktoren aber nicht für gekommen. Im Juli schrieben wir, dass sich eine Beschleunigung des Abschwungs bei Credits früher zeigen würde als bei Aktien. Spricht etwas dafür, dass es bald so weit ist? Und falls nicht, was können Anleger bis dahin tun?
Noch besteht nur wenig Grund zur Sorge. Gewisse Beachtung fand das hohe Volumen amerikanischer Kreditkarten- und Automobilkredite. In absoluten Zahlen mag es rekordverdächtig erscheinen, aber im Verhältnis zum Haushaltsvermögen ist es bisher nicht besorgniserregend.
Auch meldeten etwas mehr Unternehmen Insolvenz an, unter anderem der einst dominierende, hundert Jahre alte amerikanische Spediteur Yellow. Dass Moody’s gerade die Ratings und Ausblicke vieler US-Regionalbanken herabgestuft hat, zeigt, dass deren Krise noch nicht völlig vorbei ist. Für grosse Pessimisten könnte die Herabstufung des US-Länderratings durch Fitch der Vorbote von Schlimmerem sein. Doch wie wir in unserem NB-Blog schrieben, halten wir sie nicht für besonders dramatisch.
Allerdings sind im Sommer die High-Yield-Spreads gefallen. Die grössten Sorgen könnte hier der jüngste Spread-Rückgang bei komplexen Finanzinstrumenten und Verbriefungen machen. Er zeigt, dass sich Anleger auf die Jagd nach Rendite begeben. All das macht uns bei High Yield etwas vorsichtiger. Für einen grossen Ausverkauf reicht es aber wohl noch nicht.
Am Aktienmarkt machen uns die Bewertungen weiter Sorgen. Irgendwann werden wir wieder zu einer Untergewichtung wechseln müssen. Aber was muss fundamental passieren, damit es zu einer Korrektur kommt?
Aus unserer Sicht wäre das etwa bei einem Margenrückgang durch steigende Löhne und andere Kostensteigerungen der Fall, die die Unternehmen nicht mehr an die Kunden weitergeben können. In den Zweitquartalszahlen zeigte sich das ansatzweise, aber meist nur in Sektoren wie Kommunikationsdienstleistungen, Gesundheit und Versorger, die für ihre niedrige Fixkostenquote bekannt sind.
Für eine grundlegende Neuausrichtung der Portfolios gibt es also keinen Grund. Wie kann man aber kleinere Renditechancen nutzen Interessanter als Umschichtungen zwischen den Assetklassen sind daher jetzt Anpassungen auf der Ebene darunter.
Seit April erwartet unser Anleihenteam für dieses Jahr eine Seitwärtsbewegung der Renditen wichtiger Staatsanleihen. So rechnet es für US-Zehnjahrestitel mit 3,15 Prozent bis 4,15 Prozent. Da ihre Rendite zurzeit am oberen Ende dieser Spanne liegt, hält es eine taktische Verlängerung der Duration für potenziell interessant.
Bei Aktien kann man über die Ländergewichtung nachdenken. Japanische Papiere scheinen noch immer attraktiv bewertet, da die Geldpolitik im Vergleich zu anderen Industrieländern noch immer sehr expansiv ist. Daran ändert auch die jüngste Änderung der Zinsstrukturkurvensteuerung nichts.
Die europäische Konjunktur lässt hingegen tendenziell nach, vor allem im verarbeitenden Gewerbe. Die jüngste Diskussion über die «Übergewinnsteuer» für italienische Banken zeigt, dass neue staatliche Interventionen durchaus möglich sind. Vorsichtiger sind wir jetzt auch in China, bei Anleihen wie bei Aktien. Das Land kämpft mit Deflation, zu hohen Immobilienkrediten und fallenden Einnahmen der Gebietskörperschaften. Ein grosses staatliches Konjunkturprogramm wäre eine erfreuliche Überraschung. Unsere Kollegen vor Ort rechnen aber eher mit gezielten kleineren Massnahmen.
Bei Private Capital sehen wir viele Segmente, in denen Liquiditäts- und Kapitalknappheit für attraktive Langfristerträge sorgen können. Dazu zählen Nischen wie Preferred Stock oder Mid-Life Co-Investments, aber auch bekanntere Marktsegmente wie Private-Equity-Sekundärmarktanlagen. Im jüngsten Webinar unseres Asset Allocation Committee meinte Elisabeth Traxler, dass Private-Equity-Investitionen mit dem Ziel, den Geschäftswert zu steigern, wohl sehr viel erfolgreicher sein werden als Investments, die nur auf einen hohen Leverage setzen.
Interessant können auch Marktsegmente sein, die oft übersehen werden – vor allem, wenn grundlegender Wandel nicht angemessen berücksichtigt wird.
Da sowohl die Inflation als auch die Rohstoffpreise in der ersten Jahreshälfte gefallen sind, empfehlen wir, wenn immer möglich, weiterhin Rohstoffe. Nach wie vor glauben wir, dass sich Angebot und Nachfrage schnell ändern können. Bei überraschenden Ungleichgewichten wären Rohstoffe dann eine günstige Absicherung gegen eine Rückkehr der Inflation.
Noch sehen wir keine Störungen, die die Inflation wieder steigen lassen; der amerikanische Verbraucherpreisindex vom letzten Donnerstag entsprach den Erwartungen. Rohstoffe erlebten aber ein gewisses Comeback, passend zum kontinuierlichen Anstieg der langfristigen Inflationserwartungen in den USA und Europa.
Weil die europäischen Erdgaspreise seit ihren Höchstständen im Jahr 2022 um fast 90 Prozent gefallen sind, konnten sie nach Meldungen über einen möglichen Streik in der australischen Flüssigerdgasindustrie letzte Woche an einem Tag um fast 40 Prozent zulegen. Auch der Ölpreis ist im Juli und August gestiegen; Angebotskürzungen führten zu einem 9-Monats-Hoch. Einen leichten Preisanstieg verzeichnete auch Kupfer, das bei möglichen Konjunkturprogrammen in China noch teurer werden könnte.
Den jüngsten Äusserungen zufolge wollen jetzt auch die Europäische Zentralbank und die Bank of England ihre Geldpolitik von den Daten abhängig machen, wie seit einiger Zeit schon die Fed. Das spricht dafür, dass Wachstum und Inflation jetzt ihre Richtung ändern und wir die vollen Wirkungen der bisherigen Zinserhöhungen noch nicht gesehen haben. Die Notenbanken halten die Zeit für eine grosse Wende aber noch nicht für gekommen. Es geht eher um kleinere Veränderungen als Reaktion auf den täglichen Datenfluss.
Für Investoren ist die Lage ähnlich unsicher, da auch sie mit einem möglichen Wendepunkt konfrontiert sind. Sie sollten es daher den Notenbanken gleichtun. Jetzt ist nicht die Zeit für grosse Änderungen der Asset-Allokation und der Portfoliorisiken. Dennoch gibt es viel zu tun und im Blick zu behalten.