23.12.2024, 08:37 Uhr
Der Spezialkunststoff-Hersteller Gurit will sich künftig ganz auf profitablere Regionen und Geschäftsbereiche konzentrieren. Im Zuge der angekündigten Restrukturierung sollen Werke in Dänemark, Indien und der...
«Die Zinsen in Europa sind auf dem Vormarsch, Unternehmen- und Staatsanleihen wieder gefragt. Hochwertige Anleiheportfolios rücken im Rahmen der Asset Allokation in den Fokus», schreibt Erich Schilcher, Gründer und Geschäftsführer von AGATHON CAPITAL SCHWEIZ.
Trotz der besseren Rahmenbedingungen bleibe das Zinsrisiko: das steigende Zinsniveau erhöht auch das Ausfallrisiko. Um Verluste durch Ausfälle oder Ausweitungen der Risikoprämien zu vermeiden, werde ein aktives Bonitätsmanagement zum entscheidenden Faktor. «Die Ratingeinstufungen durch die grossen Ratingagenturen sind dabei nur bedingt eine Hilfe. Wesentliche Voraussetzung für die zeitnahe, valide Einschätzung von Schuldnerbonitäten ist ein professionelles und individuelles Risikomanagement-Instrument», erläutert Schilcher.
Die vergangenen Jahrzehnte habe vielen Anlegern besonders schmerzhaft vor Augen geführt, dass sich die Bonität eines Anleiheschuldners nicht allein über Rating-Limite und einen Fokus auf vermeintlich sichere Emissionsländer begrenzen lasse. Es bedürfe eines systematischen, datenbasierten Prozesses, in dem die individuelle Bonitätssituation des Emittenten zeitnah ausgewertet und negative Veränderung der Kreditqualität frühzeitig angezeigt werden. «Dabei können nicht nur die Methoden der klassischen Kreditanalyse zur Anwendung kommen, da Bilanzdaten nur nachlaufend zur Verfügung stehen und nur zu wenigen Zeitpunkten im Jahr veröffentlich werden. Es ist unabdingbar, Informationsträger zu identifizieren und in das Modell zu integrieren, die in die Zukunft gerichtet sind und deutlich häufiger zur Verfügung stehen», folgert er.
Mit diesen Erfahrungen und als Spezialist für Wertsicherung wurde ein umfassendes Frühwarnsystem für Unternehmens- beziehungsweise Staatsanleihen entwickelt, welches seit über zehn Jahren erfolgreich zur Vermeidung von Ausfällen eingesetzt werde.
Ausgangspunkt der Bonitätsbewertung von Unternehmensanleihen ist ein Bilanzanalyse-Modell, das unter anderem auf den Unterkategorien Verschuldungsgrad, Fristigkeit der Bilanzstruktur oder, der Profitabilität basiert. Jede einzelne Kategorie misst und bewertet Kennzahlen aus Bilanz, Gewinn- und Verlust- sowie Cashflow-Rechnung. Ergänzt werden diese Daten durch eine Marktanalyse, die sich auf Kreditausfallversicherungen (CDS) und eine technische Aktienanalyse stützte. Der Algorithmus ermittelt eine tägliche Bewertung der Investorensicht auf die Emittenten und spiegelt die aktuelle Marktlage wider.
Als drittes Element blickt eine Sentiment-Analyse eine Stufe indirekter auf das Unternehmen. Hier werden öffentlich bekannte Insideraktienkäufe und -verkäufe analysiert, ebenso der Markt für Aktienoptionen. Durch die Kombination aus einer langfristigen Fundamentalanalyse und schneller Reaktion auf Marktbewegungen sei es möglich, die Entwicklung der Kreditqualität von Emittenten genau zu verfolgen. Dies mit dem Ziel, Ausfälle zu vermeiden.
Im Zuge der schrittweisen Integration von ESG-Daten in die Kreditanalyse komme zu den genannten Elementen eine weitere, wichtige Bewertung hinzu: Der Governance-Score analysiert die Qualität der Unternehmensführung. Bestimmte Verhaltensmuster eines Unternehmens oder seiner Geschäftsleitung können auf künftige Finanzierungsprobleme hindeuten. Diese werden möglicherweise nicht adäquat vom Kapitalmarkt bewertet. Beispiele wie Wirecard, Steinhoff, Enron oder HSH Nordbank machen diese Gefahr deutlich.
«Aktuell geht dieser Governance-Score noch nicht in die Gesamtbewertung ein, sondern dient als separate Perspektive mit dem Ziel, schädliche Geschäftspraktiken indirekt zu erkennen. Um immer nah an der aktuellen wirtschaftlichen Lage der Emittenten im Bond-Portfolio zu sein, wird eine laufende Analyse der langfristigen Entwicklung der Kreditqualitäten durchgeführt», ergänzt der Spezialist.
So sollen übergeordnete Entwicklungslinien der Bonitätssituation am Bond-Markt aufgezeigt und eine frühzeitige Reaktion auch in der strategischen Asset Allocation ermöglicht werden, wie die schematische Darstellung des Frühwarnsystems verdeutlicht. Bei den genannten Unternehmensbeispielen wäre es Investoren somit möglich gewesen, Probleme frühzeitig zu lokalisieren und zu verkaufen, bevor der Bond-Markt reagiert hat.
Schematische Darstellung der Vorgehensweise. Quelle: HanseMerkur Trust AG
Auch für Staatsanleihen sei der Einsatz des Frühwarnsystems möglich: Der Kern sei hier eine makroökonomische Fundamentalanalyse. Diese werde um schnellere Marktindikatoren sowie eine Einschätzung des politischen Risikos ergänzt. Im Fokus der Analyse stehen weltweite Staaten – aktuell 64 Länder -, für die eine ausreichende Datenqualität vorliegt. Zurzeit würden insgesamt 22 Kennzahlen der Bereiche Finanzrisiko, Wirtschaftliches Risiko und Politisches Risiko systematisch ausgewertet und zu einem Gesamtscore verdichtet. Zur Beurteilung einer Kennzahl werden die Daten aller Länder zu allen Zeitpunkten eines festgelegten Zeitraumes zusammengefügt und der Grösse nach geordnet. Der aktuelle Wert der Kennzahl eines Landes wird in diese Menge einsortiert, sodass das Perzentil bestimmt werden kann.
Die Säule Finanzrisiko bilde das Kreditrisiko des Landes ab. Dies geschehe im Wesentlichen durch schnelle Marktdaten, wie beispielsweise den Landes-CDS, den Rendite-Spread und die Volatilität des Aktien-Index. Das Wirtschaftliche Risiko beurteilt die Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit durch Analyse der Fundamentaldaten der Volkswirtschaft. In der Säule Politisches Risiko werde die Stabilität und Verlässlichkeit eines Landes abgebildet.
Damit das Frühwarnsystem auch künftig erfolgreich im Einsatz ist, werde es kontinuierlich an die aktuellen und neuesten Anforderungen angepasst. Dazu zähle dieses Jahr der Klimascore. Ausgangspunkt sei die Entscheidung der Europäischen Zentralbank die Klimarisiken zu berücksichtigen. Auch institutionellen und private Investoren werden diese verstärkt in den Fokus nehmen. «Diese Entwicklung kann und wird sich auf die Spread-Risiken bei Unternehmensanleihen sowie die Kreditwürdigkeit der Emittenten auswirken», ist der Autor überzeugt. Der Corporate Bond-Markt werde sich durch die zunehmende Bedeutung von Klimarisiken stärker auffächern, emissionsintensive Branchen und Emittenten würden erhöhte Finanzierungskosten zu tragen haben, was sich indirekt auf ihre Finanzlage und Schuldentragfähigkeit auswirken werde. Betroffene Emittenten werden damit eingeschränkt - sowohl die Möglichkeit, Schulden aufzunehmen, als auch die Fähigkeit, vorhandene Schulden zu bedienen. Um die Auswirkungen der Veränderungen im Corporate Bond-Markt im Frühwarnsystem adäquat abzubilden, sei die Integration von Klimafaktoren erforderlich, die anhand eines neuen Teil-Scores für Klimarisiken derzeit entwickelt werde.
Die Erfahrungen der Vergangenheit in Verbindung mit den starken Veränderungen des Zinsniveaus am Markt und die grüne Geldpolitik verdeutliche den essenziellen Beitrag eines strukturierten Bonitätsmanagements zur Allokationssteuerung. Nur durch die integrierte Betrachtung unterschiedlicher Risikoindikatoren sei eine zeitnahe und aussagekräftige Signalgebung möglich. Gleichzeitig würden durch eine Diversifikation in den Informationsquellen Übertreibungen und exogene Effekte schneller und mit hinreichender Sicherheit bewertet. «Die vollständige Automatisierung von Datenbezug, Analyse und Reporting des mehrfach ausgezeichneten Frühwarnsystems ermöglicht rechtzeitige Handlungsmassnahmen innerhalb der aktuellen Rahmenbedingungen. Die Scoring-Systeme zeigen klar und eingängig erhöhte Emittenten-Ausfallrisiken für Unternehmen oder Staaten an. Die konkrete Kauf- und Verkaufsentscheidungen sind am Ende allerdings von der Risikoneigung des Investors abhängig», fasst Schilcher zusammen.