28.11.2024, 11:12 Uhr
«Wo bereits viel Pessimismus eingepreist ist, dort ist das positive Überraschungspotential entsprechend hoch», schreibt Ivan Domjanic, Kapitalmarktstratege bei M&G Investments. Allerdings gelte auch: «Nicht jede...
Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie haben auch zu heftigen Kursbewegungen an den Märkten geführt. Richard Woolnough von M&G geht darauf ein, wie sehr sich der Ausblick für 2021 im Vergleich zu Beginn des Jahres 2020 verändert hat. Er erwartet ein strukturell höheres Wachstum und eine höhere Inflation als damals prognostiziert.
Die grösste politische Auswirkung der Pandemie war der politische Kurswechsel in den Vereinigten Staaten. Die US-Wirtschaft erlebte im Wahljahr einen massiven Rückgang, und Trump wurde vom Favoriten zum knappen Verlierer. In Verbindung mit früheren Wahlen haben sich die politischen Aussichten in den USA dadurch grundlegend geändert. "Es gibt jetzt ein politisches System, das entschlossen ist, sich nicht nur aus der Rezession zu befreien, sondern auch die langfristigen gesellschaftlichen Aussichten zu verändern", sagt Richard Woolnough, Fondsmanager bei M&G.
Wie Woolnough weiter ausführt, war der Ölpreisverfall eine verständliche Reaktion auf den Konjunktureinbruch im vergangenen Jahr. Dieser Rückgang wurde durch die Lockdowns und die allgemeine Abkehr von fossilen Brennstoffen noch verstärkt. Im Februar 2020 kam es zu einem besonders turbulenten OPEC-Treffen: Das Kartell ging im Streit auseinander – mit deutlichen Auswirkungen auf den kurz- und langfristigen Ölpreis. Allerdings sorgte der Schock, den der Ölpreiskollaps dem System versetzte, für eine steigende Förderdisziplin innerhalb der OPEC. Ausserdem veranlasste der Preisverfall die US-Regierung zur Zusammenarbeit mit der OPEC, um die Talfahrt zu stoppen. Der Ölpreisschock beeinträchtigte mittelfristig auch das Angebot im Privatsektor, da Investitionen und Forschungsvorhaben verständlicherweise zurückgefahren wurden. "Inzwischen legt das OPEC-Kartell wieder mehr Disziplin an den Tag, und es wird vermutlich weniger Störungen durch neue Mitglieder geben", so der Fondsmanager.
Die Zentralbanken waren im vergangenen Jahr erstaunlich proaktiv. Ihre Massnahmen trugen wesentlich zur Begrenzung des wirtschaftlichen Schadens bei, der durch die zahlreichen Beschränkungen zur Eindämmung des Virus verursacht wurde. "Die Zentralbanken haben nicht nur zyklisch reagiert, sondern aus meiner Sicht eine eher strukturelle Veränderung ihrer Daseinsberechtigung eingeleitet", sagt Woolnough. Dies werde am ehesten am Beispiel der Fed deutlich, die klammheimlich ihr Mandat angepasst habe, um ihren Fokus künftig stärker auf Beschäftigungsziele statt auf Inflationsziele zu richten. Diesen Wandel sehe man auch bei anderen grossen Zentralbanken. "Die Notenbanken wollen die Nullgrenze überwinden um im Falle eines zukünftigen Abschwungs wieder mehr Handlungsspielraum zu haben. Dies gelingt am besten durch die Erzeugung von Inflation", betont Woolnough.
Als lockerer Staatenbund, in dem keine enge Verbindung zwischen der Zentralbank und den einzelnen Mitgliedsstaaten besteht, sei es für die Eurozone schwieriger, auf die Pandemie zu reagieren, meint der Fondsmanager. Der grösste nachhaltige Schritt im letzten Jahr sei die Entwicklung einer zentral finanzierten, gemeinsam begebenen EU-Anleihe gewesen, die im Zuge der Corona-Pandemie emittiert wurde. Diese gesamtschuldnerisch garantierte Emission, deren Erlös bedürftigen EU-Mitgliedern zugutekommt, sei ein grosser Schritt zur Bewältigung der Finanztransferproblematik, die durch die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Europäischen Union entstanden ist.
Im Anleihebereich blieb im Vergleich zum letzten Jahr vieles unverändert: Die Anleiherenditen befinden sich immer noch nahe der Nullgrenze, und die Spreads von globalen Investment-Grade-Anleihen beendeten das Jahr 2020 fast genau auf dem Stand wie zu Jahresbeginn. "Was sich geändert hat, sind die allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Aussichten. Abgesehen von dem enormen potenziellen Konjunkturaufschwung im Jahr 2021 deuten die vier oben beschriebenen Entwicklungen alle auf ein strukturell höheres Wachstum und eine höhere Inflation hin, als wir Anfang 2020 erwartet hätten. Ausserdem werden sicherlich noch weitere längerfristige Veränderungen auf uns zukommen", meint Woolnough.