Schwäche der Industrieländer steckt Schwellenmärkte an

John Greenwood, Chefökonom von Invesco
John Greenwood, Chefökonom von Invesco

John Greenwood, Chefökonom von Invesco, prognostiziert in seinem Martk- und Wirtschaftsausblick für das dritte Quartal 2015 eine Fortsetzung von niedrigen Anleihezinsen und hohen Aktienmarktbewertungen.

27.07.2015, 13:24 Uhr

Redaktion: ce

Nachdem sich die Schwellenmärkte bislang relativ immun gegenüber der ausgedehnten Schwächephase der Industrieländer seit der globalen Finanzkrise gezeigt haben, dürfte die "neue Normalität" der Industrieländer, gekennzeichnet durch ein langsames Wachstum, niedrige Zinsen und ein fast deflationäres Preisumfeld, jetzt auch sie erfassen, schreibt John Greenwood, Chefökonom von Invesco, in seinem Markt- und Wirtschaftsausblick für das dritte Quartal 2015. In diesem Umfeld werden die Zentralbankzinsen und Anleiherenditen seiner Erwartung nach längerfristig auf einem niedrigen Niveau verharren. An den Aktienmärkten rechnet er mit einem schwachen Umsatzwachstum, begleitet von einem moderaten Gewinnwachstum, wobei die Aktienbewertungen die sehr niedrigen Zinsen widerspiegeln und tendenziell auf einem hohen Niveau verharren dürften. Zugleich könnten Aktienrückkäufe durch Unternehmen den Gewinn je Aktie stützen und so ein positiveres Umfeld für Investoren schaffen, meint Greenwood.

"Die Nullzinspolitik und das Quantitative Easing (QE) der Zentralbanken haben zwar zu einem positiven Vermögenseffekt durch höhere Aktien-, Immobilien- und Anleihepreise beigetragen. Das langsame Geldmengen- und Kreditwachstum sowie die geringen Einkommenszuwächse in den meisten grossen Wirtschaftsräumen haben es für die Haushalte und Finanzinstitute aber schwieriger gemacht, ihre Bilanzen zu reparieren und so die Rückkehr zu einem normalen Ausgabenwachstum zu ermöglichen", so Greenwood. "Dafür bedarf es eines stärkeren Geld- und Kreditwachstums." Der Chefökonom von Invesco bekräftigt seine seit langem vertretene Meinung, dass die Aufschwungphase im aktuellen globalen Konjunkturzyklus ungewöhnlich lang sein wird, da das unterdurchschnittliche Wachstum und die niedrige Inflation eine restriktivere Geldpolitik unnötig machen und damit ein vorzeitiges Ende des Aufschwungs verhindern werden.

Divergenzen zwischen USA und Europa
Bislang hat sich das Geld- und Kreditwachstum nur in den USA normalisiert. Zudem dauert die Erholung in den USA zwar bereits fünf Jahre an, zeichnet sich aber erst jetzt allmählich durch die typischen Merkmale einer Erholung aus. Derweil bleibt der Aufschwung in der Eurozone und Japan fragil, und die wieder aufgeflammte Griechenland-Krise und die damit verbundenen Ansteckungsrisiken könnten die Erholung in den Euro-Peripherieländern im Keim ersticken. Die vier grössten Schwellenländer - China, Indien, Brasilien und Russland - haben alle eine Wachstumsverlangsamung verzeichnet bzw. stehen am Rande einer Rezession. Aufgrund des stagnierenden Welthandels und/oder der anhaltenden Schwäche der Rohstoffpreise zeigen sich auch die anderen Emerging Markets weiter wachstumsschwach.

Vor diesem Hintergrund geht Greenwood davon aus, dass die Divergenzen zwischen der Ausrichtung der Geldpolitik in den USA und Grossbritannien auf der einen und Japan und der Eurozone auf der anderen Seite fortbestehen werden. Die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan dürften ihre QE-Programme fortsetzen und ihre Zinsen bis ins Jahr 2016 hinein bei nahe Null halten. Je nachdem, wie stark sich die US-Wirtschaft entwickelt, dürfte die Fed die Zinsen im September oder Dezember erstmals anheben. Die Bank of England dürfte ihrem Beispiel dann innerhalb weniger Wochen folgen. "Solange die Dynamik des Geld- und Kreditwachstums anhält, sollte eine Zinserhöhung jedoch nicht mit einer restriktiveren Geldpolitik gleichgesetzt werden", betont Greenwood.

Nachdem die US-Wirtschaft auf einen normaleren Wachstumspfad zurückkehrt und die jüngsten Konjunkturumfragen die solide Verfassung der britischen Wirtschaft bestätigt haben, rechnet der Chefökonom von Invesco in beiden Ländern im Gesamtjahr 2015 mit einem realen BIP-Wachstum von 2,3%. Für die Eurozone prognostiziert er ein reales BIP-Wachstum von 1,7%. "Das QE-Programm kam viel zu spät, um eine Deflation zu verhindern. Solange die EZB in erster Linie langlaufende Anleihen von Nicht-Banken ankauft, könnte es aber aus der aktuell schleppenden Erholung einen kräftigen Aufschwung machen. Dazu müsste die EZB allerdings lange genug und in ausreichendem Masse intervenieren", meint Greenwood.

Fundamentale Konstruktionsfehler der Eurozone
Angesichts der wieder aufgeflammten Griechenland-Krise betont Greenwood erneut die fundamentalen Konstruktionsfehler der Eurozone, die diese anfällig für wiederholte Krisen machen: "Es ist Zeit, dass sich die politische Führung der Eurozone der folgenden Entscheidung stellt: entweder einen Zahlungsausfall Griechenlands und den 'Grexit' zu akzeptieren oder eine politische Union zu schaffen, die finanziell stark genug ist, um für die Schulden aller Einheiten einzustehen (Bund, Bundesländer, Banken und sonstige). Der Europäische Stabilitätsmechanismus, die Bankenunion und das Vertrauen darauf, dass Mitgliedstaaten die fiskalpolitischen Regeln einhalten, sind nichts anderes als eine 'Extend and Pretend'-Politik - 'wahre den Schein und verlängere'."

Derweil erweist sich die anhaltende Schwäche des Welthandels für die exportorientierte japanische Wirtschaft als erheblicher Gegenwind, obwohl der Yen in den letzten zwölf Monaten gegenüber dem Dollar um 20% abgewertet hat. Greenwood rechnet in Japan im Gesamtjahr 2015 mit einem realen BIP-Wachstum von 1,0%. In Asien ausserhalb Japans sehen sich China und andere kleinere asiatische Volkswirtschaften mit zwei Problemen gleichzeitig konfrontiert: Zum einen können sie sich nicht mehr auf einen stark expandierenden Welthandel als Motor ihres exportorientierten Wachstumsmodells verlassen. Zum anderen ist die strukturelle Verlagerung von den Exporten und exportbezogenen Investitionsausgaben zu binnenwirtschaftlichen Investitionen und einem konsumgetriebenen Wachstum nicht von heute auf morgen zu erreichen. Greenwood rechnet in China in diesem Jahr mit einem offiziellen realen BIP-Wachstum von 6,9%, wobei die privatwirtschaftlichen Schätzungen auf ein erheblich langsameres Wachstum hindeuten.

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