14.04.2023, 09:59 Uhr
«Sind niedrigere Staatsschulden, positive Realzinsen und die Finanzierung der Energiewende miteinander vereinbar?», fragt sich Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer, Multi Asset Strategies – EMEA bei...
Im ersten Halbjahr 2023 bleiben weitere Leitzinserhöhungen aus. Die Inflation hat ihren Höhepunkt erreicht und im weiteren Jahresverlauf nimmt die Wirtschaft wieder Fahrt auf. Das sind die Eckpunkte im Basisszenario von Invesco. Aber noch brauche es Geduld, mahnt das US-Finanzhaus.
Kurzfristig sehen die Invesco-Experten die Weltwirtschaft aktuell in der Kontraktionsphase des Konjunkturzyklus mit einem Wachstum unter Trend und einer weiter nachlassenden Wachstumsdynamik. Sie rechnen jedoch bereits in der ersten Jahreshälfte 2023 mit dem Eintritt in die Erholungsphase.
"Einige Volkwirtschaften werden stärker betroffen sein als andere. Insgesamt glauben wir aber, dass es sich bei diesem weltweiten Abschwung nur um eine temporäre Schwächephase handeln wird. Wir gehen davon aus, dass die Inflation in der ersten Jahreshälfte 2023 nachlässt und die Zentralbanken eine Zinspause einlegen. In der Folge sollte sich die Wirtschaft im weiteren Jahresverlauf erholen und wieder mehr Fahrt aufnehmen, auch wenn das Wachstum vermutlich weiter unter Trend bleiben wird", erklärt Henning Stein, Global Head of Thought Leadership and Market Strategy des US-Vermögensverwalters.
Die Zentralbanken in den USA und Europa haben ihre Geldpolitik trotz des nachlassenden Wirtschaftswachstums, vermehrter Hinweise darauf, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht haben könnte, und der bereits deutlich verschärften Finanzkonditionen weiter gestrafft. Diese Faktoren würden die Zentralbanken im ersten Halbjahr 2023 dazu veranlassen, ihre Zinserhöhungen zu pausieren. "Vermutlich werden die westlichen Zentralbanken mit ihrer Straffung zu weit gehen. Das wird das Rezessionsrisiko erhöhen und für eine anhaltend hohe Marktvolatilität sorgen", schätzt Henning Stein.
Auch wenn einige Volkswirtschaften weniger rezessionsanfällig sind als andere, nehmen die Risiken für Länder, in denen die Geldpolitik gestrafft wird, nach Ansicht der Invesco-Experten insgesamt zu. Trotz der bereits eingeleiteten und künftig erwarteten Konjunkturmassnahmen in China rechnen sie auch da mit einem anhaltend langsamen Wachstum. Ihre China-Prognose für 2023 hängt von der Stabilisierung des Immobilienmarktes und der Erholung der Wirtschaft von der strikten Null-Covid-Politik ab.
Invesco rechnet mit einer Stagnation an Chinas Immobilienmarkt und einer schrittweisen Lockerung der Null-Covid-Politik, was zu einem BIP-Wachstum im mittleren einstelligen Bereich und einem Gewinnwachstum von etwa 15% an den Onshore-Märkten führen dürfte. Im ersten Halbjahr 2023 bestehen aufgrund des schwächeren Exportumfelds und der verhaltenen Ausgaben der privaten Haushalte Abwärtsrisiken. Infolge der Wiederöffnung sind die Aussichten für die chinesische Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2023 deutlich besser.
"Unterdessen kämpfen die Volkswirtschaften der Schwellenländer an zwei Fronten zugleich", so Invesco. Zum einen bleibe die Inflation ausserhalb von Asien ein grosses Problem, obwohl die Emerging Markets die Zinsen früher und deutlicher erhöht haben als die USA. Zum anderen exportiert der starke US-Dollar die Inflation und reduziert die Finanzströme in die Schwellenländer, deren Auslandsschulden vornehmlich auf Dollar lauten. "Aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen der Schwellenländer sind auch die Auswirkungen der rohstoff- und dollarinduzierten Inflation von Land zu Land sehr unterschiedlich. Das spricht für einen sehr selektiven Investmentansatz," folgert das US-Haus.
Was die taktische Asset Allokation in ihrem Basisszenario angeht, setzen die Invesco-Experten zunächst auf eine defensive Risikopositionierung mit einer deutlichen Untergewichtung von Aktien und einer Konzentration auf defensive Sektoren. Im Aktienbereich präferieren sie Industrieländer gegenüber Emerging Markets und legen den Fokus stärker auf Qualitätstitel und Large-Caps.
In Erwartung sinkender Zinsen würden sie das Durationsrisiko im Anleihenportfolio übergewichten und Kreditanlagen im Fixed-Income-Bereich untergewichten. Vor allem in bonitätsschwächeren Segmenten sei mit einer Ausweitung der Credit Spreads zu rechnen.
Generell erwartet Invesco mit einer höheren Volatilität und einer ausgeprägten Renditestreuung zwischen den Anlageklassen. Beim US-Dollar sei gegenüber anderen wichtigen Währungen wie EUR, GBP und JPY eine neutrale Haltung einzunehmen.
Dann aber, mit dem Übergang der Weltwirtschaft in die Erholungsphase, würden die Invesco-Experten in Erwartung stärkerer Wachstumsraten, höherer Anleiherenditen, einer expansiveren Geldpolitik und eines weltweit zunehmenden Risikoappetits zu einer Übergewichtung von Risikoanlagen übergehen. In diesem Umfeld seien risikoreiche Kreditanlagen, Value-orientierte Regionen und zyklische Sektoren zu bevorzugen.
Private Market-Anlagen würden eine Möglichkeit der Portfoliodiversifikation bieten – zum Beispiel ein höheres Kapitalwachstum mit Private Equity, regelmässige Einnahmen mit Direct Lending oder eine bessere Diversifikation durch Real Assets, heisst es im Basisszenario weiter.
Im Alternativszenario von Invesco ist es möglich, dass die Inflation hartnäckig hoch bleibt. In diesem Fall sähen sich die Zentralbanken gezwungen, ihren Straffungskurs noch länger fortzusetzen. Das würde eine längere Kontraktionsphase nach sich ziehen, wodurch eine globale Rezession wahrscheinlicher würde.
Die Kombination einer restriktiveren Zentralbankpolitik und eines grösseren Risikos einer globalen Rezession würde zu engeren Finanzkonditionen und einem anhaltend schwierigen Umfeld für Risikoanlagen führen. so das Alternativszenario.