Nachhaltiges Investieren – Zeit für eine ganzheitliche Sichtweise

Thomas Funk (l.), Portfoliomanager – Swiss Equities und Karl Herzog, Nachhaltigkeitsanalyst bei GAM.
Thomas Funk (l.), Portfoliomanager – Swiss Equities und Karl Herzog, Nachhaltigkeitsanalyst bei GAM.

Karl Herzog und Thomas Funk vom Schweizer Aktienteam bei GAM erklären, wie sie anhand eines umfassenden Kriterienkatalogs die Nachhaltigkeit von Unternehmen analysieren. Ihr Ziel ist ebenso einfach wie ehrgeizig: Sie wollen die langfristigen Gewinner in einem immer komplexeren und wettbewerbsintensiveren Umfeld identifizieren.

27.09.2017, 08:42 Uhr
Nachhaltigkeit

Redaktion: sif

Die Tropenstürme Irma und Harvey haben in nur zwei Wochen verheerende Zerstörungen angerichtet. Durch die extremen Wetterereignisse wurde das Leben von Millionen von Menschen verändert. Nach Ansicht von Wissenschaftlern könnte der Klimawandel zu einer immer grösseren Häufigkeit solcher Naturkatastrophen führen, die Menschenleben fordern und wirtschaftliche Notstände hervorrufen. Der globalisierten Gesellschaft wird dadurch in Erinnerung gerufen, dass unsere Interaktionen mit dem Ökosystem schwerwiegende Auswirkungen für uns alle haben können.

Viele Experten sehen in internationalen Unternehmen die Hauptverantwortlichen für die Schädigung unseres Planeten. Die Firmen produzieren aus Rohstoffen über teilweise hoch komplexe, weltweit vernetzte Wertschöpfungsketten Güter, die wir täglich nutzen und konsumieren. Naturgemäss entstehen dabei vielfältige Interaktionen sowohl mit der Umwelt als auch mit den Menschen. Werden diese Wechselwirkungen nicht richtig gestaltet, entstehen folgenreiche Konflikte und Wertverluste. Als aktive, langfristig orientierte Anleger haben die beiden GAM-Experten erkannt, dass viele Unternehmen gezwungen sein werden, ihre Versorgungsketten und Geschäftsmodelle in der Zukunft zu überdenken und neu zu gestalten.

Lernen von der Natur
Die meisten Nachhaltigkeitsansätze von Anlegern wurden aus einer rückwärts gerichteten Problemsicht heraus entwickelt. Sie werden oft unter das Banner ökologischer, sozialer und führungsbezogener Einzelaspekte gestellt und mit dem Akronym ESG (Environment, Society, Governance) zusammengefasst. GAM favorisiert dagegen eine ganzheitliche Sichtweise. Eine solche ermöglicht es, zu vorausschauenden, integrierten und auch wirklich situationsgerechten Beurteilungen und Lösungen zu gelangen.

Nachhaltiges Wirtschaften muss auf unbestimmte Dauer aufrechterhalten werden können. Ein Unternehmen hat über den rein finanziellen Profit hinaus auch Werte wie die intakte Funktionsweise des Ökosystems, die Menschenwürde der Einzelperson und die Vielfalt und Stabilität des gesamten Gesellschaftssystems in seine Wertschöpfung einzubeziehen. Die Herausforderung besteht folglich darin, eine gültige Messgrösse zur Beurteilung solcher Geschäftsaktivitäten zu finden. Dabei hilft es, in Systemen zu denken, was folgende Hierarchie aufzeigt: Die Wirtschaft ist Teil des Gesellschaftssystems, und dieses wiederum ist Teil des alles umfassenden Ökosystems. Karl Herzog und Thomas Funk finden, dass das Grundkonzept für Nachhaltigkeit direkt vom Wissen über die Funktionsweise des übergeordneten biologischen Lebensnetzes abgeleitet werden kann. Die zentrale Frage ist: Was macht natürliche Organismen eigentlich nachhaltig lebensfähig? Als Antwort finden Herzog und Funk die nachfolgenden sechs elementaren Nachhaltigkeitsmerkmale.

Kriterien für die Nachhaltigkeit von Unternehmen

  1. Erneuerbarkeit: Permanente Erneuerung, Evolutionsvermögen, Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit
  2. Kreislauf: Stoff- und Energiekreisläufe, Informations- und Rückkopplungskreisläufe zur Selbstorganisation und Selbstregulation
  3. Vernetzung: Netzwerke für die Kommunikation und Koordination, komplementäre Strukturen, funktionelle Synergien
  4. Standorteinbezug: Berücksichtigung und Nutzung der natürlichen Gegebenheiten des Standorts sowie der geografischen, wirtschaftlichen und kulturell-religiösen Vielfalt
  5. Multifunktionalität: Multifunktionelle Gestaltung und Nutzung von Materialien und Systemen, Berücksichtigung und Nutzung der natürlichen Vielfalt von Menschen und Ökosystem
  6. Gesetzeskonformität: Konformität mit geschriebenen und ungeschriebenen Normen und Werten der relevanten Gesellschaft

Evolution des Bewusstseins
In den zwanzig Jahren, in denen die GAM-Experten Firmen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit befragten und analysierten, sahen die beiden einen deutlichen Wandel in der Wahrnehmung des Themas. In den späten 90er Jahren stand noch hauptsächlich der technische Umweltschutz im Vordergrund. Die Verantwortung war z.B. beim Giftverantwortlichen des Unternehmens angesiedelt. Betriebsrundgänge führten oft in den Keller, wo die Abfälle lagerten. Dann erfolgte ein Entwicklungssprung, und die Verantwortlichkeiten wurden umfassender definiert. Zunehmend sehen sich auch Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte in der Verantwortung.

Auf der Kapitalmarktseite entstand auch die Idee, dass die Kapitalgeber ihre Firmen über die Governance-Mechanismen zu mehr "Nachhaltigkeit" anhalten sollen. Allerdings ist das bis heute kaum geglückt. Zu Recht beklagen sich die Firmen im direkten Gespräch, dass die so an sie herangetragenen Ansprüche ihren individuellen Gegebenheiten meist nur ungenügend Rechnung tragen. Für uns stellt sich dieses Problem nicht. Unsere Bewertung lässt Individualität nicht nur zu, sondern bevorzugt sie sogar. Unternehmen, die sich durch eigenständige, wettbewerbswirksame Lösungen hervortun, schneiden besonders gut ab.

Die Macht der Konsumenten
In jüngerer Zeit sieht man eine weitere ermutigende Entwicklung: Die Firmen erkennen, dass es vermehrt die Endkunden sind, die Nachhaltigkeit einfordern. Das eröffnet ihnen zum einen neue Differenzierungsmöglichkeiten. Zum andern geht es für einige schlicht auch darum, im Geschäft zu bleiben. Die Endkonsumenten setzen zunehmend kraftvolle Impulse, deren Wellen durch ganze Wertschöpfungsketten hindurchschlagen. Ein Beispiel: Weil die Kunden es mögen, verlangen Hersteller von Luxusgütern von ihren Lieferanten nicht mehr nur Angaben über irgendwelche abstrakten Nachhaltigkeitsstandards, sondern sie wollen unmittelbare Verbesserungen sehen, die auch von den Endkunden direkt als solche erkannt werden können. Kompensationen über fragwürdige Mechanismen werden nicht mehr akzeptiert.

Veränderte Konsumentenerwartungen dürften in den nächsten Jahren zu den mächtigsten Treibern der Entwicklung gehören. Die Unternehmen tun gut daran, auf ihre Kunden zu hören. Diese senden Signale einer neuen Generation, die anders sozialisiert wurde und neue Ansprüche stellt. Unternehmen, denen es gelingt, sich am schnellsten auf eine nachhaltigere Geschäftskultur umzustellen, werden beträchtliche Wettbewerbsvorteile besitzen.

Der Schweizer Aktienmarkt: ein wahrhaft globaler Akteur
Trotz ihrer bescheidenen Grösse hat die Schweiz einen der wettbewerbsfähigsten Aktienmärkte der Welt. Dank ihrer politischen Stabilität und ihres geschäftsfreundlichen Umfelds dient sie als Drehscheibe und Hauptsitz für viele multinationale Unternehmen. Nicht nur Giganten wie Nestlé, Roche und Swiss Re, sondern auch zahlreiche weniger bekannte Schweizer Unternehmen haben es in führende Marktpositionen und zu internationaler Ausstrahlung gebracht.

Karl Herzog und Thomas Funk haben mit der Nachhaltigkeitsbeurteilung von Schweizer Unternehmen sehr positive Erfahrungen gemacht. Der Ansatz hilft den beiden nicht nur einzuschätzen, wie sich Unternehmen in ihren ökologischen und sozialen Kontext einfügen, sondern auch, ob sie generell die Fähigkeiten besitzen, um sich in einem dynamischen Wettbewerbsumfeld als lebens- und wertschöpfungsfähige Einheiten entwickeln zu können. Die Ausprägung der Nachhaltigkeitsmerkmale ist eng mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Organisationen verknüpft. In den letzten Jahren lassen sich im Umgang der Unternehmen mit den Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung generell grosse Fortschritte erkennen. Viele Schweizer Unternehmen sind bei dieser Entwicklung ganz vorne mit dabei. Sie übernehmen Verantwortung und bringen sich in Position, um für ihre Anspruchsgruppen auch in der Zukunft umfassende Mehrwerte generieren zu können.

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