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In Frankreich dürfte die Welle des Populismus verebben

Christophe Bernard, Chefstratege von Vontobel.
Christophe Bernard, Chefstratege von Vontobel.

In Frankreich dürfte die durch die USA und Grossbritannien gerollte Welle des Populismus verebben. Dennoch: Die Präferenzen der Wähler sind nicht vorhersehbar, wie Anleger im vergangenen Jahr feststellen mussten. Diese Erkenntnis wirkt an den Finanzmärkten noch immer nach, sagt Vontobel-Chefstratege Christophe Bernard.

06.04.2017, 08:09 Uhr

Redaktion: jog

Die Entscheidung der britischen Wähler für ein Ausscheiden des Landes aus der Europäischen Union und die Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten waren im vergangenen Jahr zweifellos wegweisende Ereignisse. Die Überraschung war perfekt – weder Meinungsumfragen noch Expertenprognosen liessen auf die Ergebnisse schliessen. Insofern ist es natürlich, dass die Medien im Allgemeinen und die Anleger im Besonderen der radikalen Politikerin Marine Le Pen in den bevorstehenden französischen Präsidentschaftswahlen ernsthafte Siegeschancen einräumen. Sie verspricht ein Referendum über den Verbleib Frankreichs in der EU und die Aufgabe des Euro. Verständlicherweise sind die Anleger angesichts der möglichen Machtübernahme des "Front National" besorgt.

Extreme Parteien profitieren von Wirtschaftsmisere
Die europäische Gegenwart scheint auf eine andere Entwicklung hinzudeuten. Das schlechte Abschneiden der "Partei für die Freiheit" in den jüngsten niederländischen Wahlen könnte signalisieren, dass der Populismus etwas an Zugkraft verloren hat. Es ist jedoch müssig, aufgrund der Ereignisse in den Niederlanden den Wahlausgang in Frankreich vorherzusagen. Einwanderungsfragen rangieren in beiden Ländern weit oben. Doch während in den Niederlanden nahezu Vollbeschäftigung herrscht, befindet sich die französische Wirtschaft mit einer endemischen zweistelligen Arbeitslosenrate in einer bedauernswerten Verfassung. Der wirtschaftliche Verfall Frankreichs bewirkt, dass die Wähler nach extrem links und rechts abwandern. Bemerkenswert ist, wie ähnlich das Wirtschaftsprogramm des Front National und der französischen Links-Aussen-Parteien in Bezug auf Protektionismus und Verstaatlichungen ist.

Alles in allem: Ein Sieg von Le Pen scheint wegen des französischen Wahlsystems äusserst unwahrscheinlich zu sein. Obwohl sie den ersten Wahldurchgang am 23. April überstehen dürfte, zeichnet sich in der zweiten Runde ihre Niederlage entweder gegen Emmanuel Macron ("En Marche!") oder François Fillon ("Les Républicains") ab. Diese dürfte darüber hinaus ziemlich deutlich ausfallen. Doch selbst wenn sie Präsidentin werden sollte, stehen die Chancen für ihre Partei, bei den Parlamentswahlen eine Mehrheit zu erringen, bei nahezu null. Dass es zu einem Referendum kommen könnte, ist nur schwer vorstellbar, selbst in einem aggressiven Szenario.

Aus diesem Grund ist Vontobel-Chefstratege Christophe Bernard der Meinung, dass sich Anlagen, die von den Marktteilnehmern aus Angst vor einer weiteren politischen Überraschung gemieden wurden, erholen sollten. Dazu gehören vor allem auf Euro lautende Vermögenswerte, während sogenannte sichere Häfen wie deutsche Staatsanleihen oder der US-Dollar unter Verkaufsdruck kommen könnten.

Trump-Regierung scheitert mit ihren Plänen
Die Marktteilnehmer stellen die Fähigkeit der neuen US-Regierung, das Programm von Trump umzusetzen, zunehmend infrage. Nachdem der frischgewählte Präsident mit der Abschaffung des Krankenversicherungsgesetzes Affordable Care Act, auch als "Obamacare" bekannt, im US-Kongress gescheitert ist, hat seine Glaubwürdigkeit arg gelitten. Wird er mit seinen ehrgeizigen Plänen zur Steuerreform, Deregulierung und Ausbau der Infrastruktur ebenfalls scheitern? Ohne der Entwicklung vorgreifen zu wollen, können wir annehmen, dass die Anleger ihre Erwartungen diesbezüglich zurückschrauben werden. Die jüngste Richtungslosigkeit der Aktien-, Zins- und Devisenmärkte erstaunt daher nicht.

Gleichzeitig hat die US-Notenbank klar gemacht, dass sie plant, die Zinsen behutsam zu erhöhen. Sie dämpft damit die Befürchtungen, dass der starke Arbeitsmarkt und die nahe beim Zielwert von 2 % notierende Kerninflationsrate zu einer aggressiveren Geldpolitik führen könnten. Zentral ist, dass die US-Notenbank die geplanten Massnahmen der Trump-Regierung zur Belebung der Wirtschaft vorderhand nicht berücksichtigt. Die Währungshüter werden dies erst tun, wenn diese Initiativen die bestehenden Hürden genommen haben. Dies erscheint nach dem Scheitern des Trump-Lagers bei der Krankenversicherungsreform auch sinnvoll.

Änderungen bei Aktien, Anleihen und Währungen
Vontobel hält generell an ihrer neutralen Aktienquote fest. Die globale Wachstumsdynamik und die Gewinnrevisionen, also das Verhältnis zwischen der Anzahl von Aufwärts- und Abwärtskorrekturen der Analysten, sprechen zwar weiterhin für Aktien. Zugleich begrenzen die hohen Bewertungen und die Zweifel an der Umsetzung von Trumps Initiativen jedoch das Aufwärtspotenzial. Vontobel hat innerhalb der Aktienallokation die Eurozone auf eine "Übergewichtung" hochgestuft, weil die Anleger die Wahrscheinlichkeit eines Sieges Le Pens als zu hoch einstufen, glauben die Experten der Bank.

Solange die US-Notenbank an nur behutsamen Zinserhöhungen festhält und den freihandelsfeindlichen Äusserungen in den USA keine konkreten Taten folgen, dürfte der Dollar gegenüber dem Euro Mühe bekunden. Die Einkaufsmanagerindizes der Eurozone deuten zudem auf ein kräftiges Wirtschaftswachstum in nächster Zeit hin, was den Euro stützt. Aus diesem Grund und wegen der offenbar einstweilen sehr ausgewogen Auf- und Abwärtsrisiken hat man bei Vontobel die verbliebene "Übergewichtung" im US-Dollar reduziert.

Neben dem Ausbau der Aktienposition in der Eurozone hat man auch das Engagement in Lokal- und Hartwährungsanleihen aus den "Emerging Markets" aufgestockt. Deren Umlaufrenditen sind im Vergleich mit anderen festverzinslichen Anlagen attraktiv. Zudem ist das Risiko eines übermässig starken US-Dollar oder von schädlichen Einfuhrbeschränkungen der USA (oder beidem) gesunken, was den Vermögenswerten aus den Schwellenländern insgesamt zugute kommt.

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