Geldpolitik kontra Geopolitik

Die Börsen sind in diesem Jahr sehr gut gelaufen, die Anleihenmärkte waren überraschend stark. Die oft heikle Sommerperiode brachte sogar die höchsten Kursgewinne seit 2009. Die vorauslaufenden Konjunkturindikatoren bleiben insgesamt weiter konstruktiv und dort, wo es noch Probleme gibt, dürfte die Geldpolitik wieder stützend eingreifen. Nur die Geopolitik könnte in nächster Zeit zumindest temporär wieder ihren langen Schatten auf die Märkte werfen.

03.09.2014, 14:00 Uhr

Redaktion: jod

Angesichts der Umstände - es gab ja in den letzten Monaten keinen Mangel an schlechten Nachrichten - sind die Märkte bisher in diesem Jahr wirklich ausserordentlich gut gelaufen - ein Indiz dafür, dass viele Anleger noch im Abseits stehen und den bisherigen Bullenmarkt nur teilweise oder sogar nur am Rande mitgemacht haben. Das betrifft nicht nur die Aktien, wo die Entwicklung unserer Erwartung und Anlagepositionierung entsprach, sondern auch Staatsanleihen. Obligationen «sicherer» Staaten liefen überraschend gut - riskantere Schuldenpapiere, insbesondere aus der Euro-Peripherie, liefen noch besser. Auch die in den letzten Jahren in der Regel schwierige Zeit von Mai bis September, vor welcher uns der Börsenspruch «Sell in May, go away» warnt, brachte diesmal überdurchschnittlich hohe Kursgewinne (vgl. Tabelle, PDF Seite 2).

Einkaufsmanagerindizes insgesamt weiter positiv

Die gerade in den letzten Tagen publizierten globalen Einkaufsmanagerindizes für die verarbeitende Industrie signalisieren in 18 der 23 teilnehmenden Länder weiterhin einen Aufschwung in den nächsten Monaten. In einigen grossen Volkswirtschaften wie USA, Japan, Indien und Kanada halten sich die Werte sogar auf höherem Niveau, als im Schnitt der vorangegangenen sechs Monate, während sie in China und interessanterweise auch Russland wieder knapp über der Wachstumsschwelle notieren. Insbesondere in einigen EU-Ländern sind sie aber rückläufig und notieren jetzt in drei Fällen sogar im negativen Bereich (vgl. Grafik 2, PDF Seite 2).

Die Ukraine-Krise wirft ersten Schatten

In den Umfragen zeichnen sich letztlich die ersten potenziellen Folgen des Konflikts zwischen Russland und dem Westen ab: Mit Ausnahme Russlands und Irlands haben sich nämlich die Werte für alle ost- und westeuropäischen Länder gegenüber den Niveaus der letzten zwei Quartale zum Teil deutlich abgeschwächt, auch wenn die meisten weiterhin mehr oder weniger knapp über der Wachstumsschwelle notieren. Italien und Polen sind in den negativen Bereich gefallen, was besonders bedauerlich ist, weil sich diese Länder vorher auf dem Aufschwungspfad befanden. Wir sehen also, dass Sanktionen und Gegensanktionen letztlich sehr wohl einen konjunkturellen Schatten werfen können. Zwar gehen nur rund 2.5% der Exporte des Euroraums nach Russland - aber auf Dauer macht auch Kleinvieh bekanntlich Mist und psychologische «Kollateralschäden» sollten auch nicht unterschätzt werden. Potenziell problematisch ist schliesslich auch die anhaltende Schwäche Frankreichs. Das Erstergebnis der Augustumfrage verbesserte sich zwar geringfügig, bleibt aber im globalen Vergleich sehr deutlich unter der Wachstumsschwelle.

Hoffnungen auf EZB und Frankreich gerichtet

Wir wollen allerdings auch nicht negativ übertreiben - erstens ist das globale Gesamtbild immer noch positiv geblieben und zweitens könnte sich gerade im Euroraum und Frankreich in den kommenden Monaten wirtschaftspolitisch durchaus etwas bewegen. So könnte die Europäische Zentralbank bald schon die EU-Version der «quantitativen Lockerung» lancieren. Sie hat ja schon recht deutlich kommuniziert, dass sie solche Schritte erwägt und sich auch der neuen geopolitisch bedingten Konjunkturrisiken bewusst ist. Und in Frankreich war der jüngste Regierungsrücktritt nicht zuletzt auch auf die miserable Konjunkturstimmung im Land zurückführen. Wir dürften also hoffen, dass die nächste Regierung in Paris wirtschaftspolitisch erfolgreicher sein wird.

Versprechen allein reichen nicht mehr aus

Wir werden in den kommenden Tagen und Wochen sehen, ob sich in Europa wieder etwas im positiven Sinn zu bewegen beginnt oder nicht. Einen ersten Hinweis diesbezüglich werden wir bereits morgen erhalten - wenn die EZB ihre neusten geldpolitischen Entscheidungen bekannt gibt. Angesichts der ersten längeren Schatten der Ukraine-Krise über Europa dürften Versprechen im Stil von «Whatever it takes» allein nicht mehr ausreichen, um das Vertrauen der Märkte in die Region aufrecht zu erhalten.

«Sell in May» hätte sich in diesem Jahr nicht ausgezahlt

In der ersten Tabelle (vgl. Tabelle, PDF Seite 2) zeigen wir die Performance der grossen Aktienindizes in der nicht selten heiklen und vergleichsweise turbulenten Zeit zwischen Ende April und Ende August. Das ist schliesslich die Zeit, auf die sich der Spruch «sell in May, go away, but remember to come back in September» bezieht. Wir sehen, dass diese Phase in diesem Jahr ausserordentlich stark war. In den letzten Jahren tendierten praktisch alle Aktienmärkte in diesem Zeitfenster nämlich zur Schwäche - trotz einer insgesamt gesund und intakt gebliebenen Hausse. Alleine schon diese Tatsache, dass Mai bis September diesmal so gut laufen, sollte daher unsere Erwartungen für die Zeit nach September zügeln. Vielleicht wäre es auch hier sinnvoll, den Börsenspruch zu ignorieren - statt im September wieder zu «kaufen» wäre eventuell ratsamer, kommende Stärkephasen zum Teil für Gewinnmitnahmen zu nützen. Europas Weg bis zum vernünftigen Frieden in der Ukraine könnte durchaus noch steinig werden und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die EZB kurzfristig die hohen Erwartungen enttäuschen könnte.

PMI-Umfragen: Einkaufsmanager insgesamt weiter zuversichtlich

Die jüngsten Werte (vgl. Tabelle, PDF Seite 2) der internationalen Einkaufmanagerumfragen für die verarbeitende Industrie wurden zwischen dem 31. August und 2. September publiziert. Auf globaler Ebene bleibt das Gesamtbild gegenüber den vorangegangenen sechs Monaten praktisch unverändert. Der Weltindex notiert immer noch gut 2.5 Punkte über der Wachstumsschwelle und damit ziemlich genau auf gleichem Niveau wie im Halbjahresschnitt davor. Verschoben hat sich allerdings die Verteilung der von den Branchenprofis antizipierten Aktivität: Die meisten europäischen Länder sind nämlich deutlich zurückgefallen - zum Teil sogar sehr deutlich, wie die Werte für Grossbritannien, die Niederlande, Deutschland und Ungarn zeigen. Frankreich ist noch tiefer in den negativen Bereich gesunken. Interessant ist, dass sich die Einkaufsmanagerumfragen Russlands im Gegensatz dazu recht deutlich aufgehellt haben. Auch Griechenland, das zu Ländern zählt, für welche Russland einen relativ grossen Markt darstellt, hält sich noch im grünen Bereich. In Nordamerika und in einigen anderen grossen Volkswirtschaften wie Japan und Indien hat sich die Lage ebenfalls tendenziell aufgehellt. Dennoch, insgesamt beinhalten diese Ergebnisse auch eine Mahnung zur Vorsicht: Der Konflikt um die Ukraine scheint langsam einen klar erkennbaren und langen konjunkturellen Schatten auf Europa zu werfen. Falls dieser ungute Prozess nicht in absehbarer Zeit reversiert werden kann, dann werden die anderen Regionen nicht auf Dauer völlig ungeschoren davonkommen.

Lesen Sie hier den vollständigen Kommentar von Mikio Kumada, Global Strategist von LGT Capital Management.

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