Ganz gleich, wer die US-Wahl gewinnt – das Fiskaldefizit dürfte weiter ansteigen

Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management.
Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management.

Wie Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, sagt, kann weder Clinton noch Trump die Wirtschaft uneingeschränkt beeinflussen. Dies ist verfassungsgemäss vom Kongress eingeschränkt.

04.11.2016, 14:04 Uhr

Redaktion: jog

Am 8. November finden in den USA die 45. Präsidentschaftswahlen statt. Über lange Phasen sah es so aus, als habe die demokratische Kandidatin Hillary Clinton gute Chancen auf den Wahlsieg. Doch nun gewinnt der Wahlausgang auf der Zielgeraden wieder an Spannung: Wie zuletzt die Brexit-Abstimmung zeigte, haben emotional geführte Kampagnen ihre eigenen Gesetze. Dass der aktuelle US-Wahlkampf mit ordentlich politischem Getöse geführt wird, erschwert es Anlegern, sich auf die eigentlichen Fakten zu fokussieren. Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management erläutert: "Sollte der republikanische Kandidat Donald Trump tatsächlich Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden, ist zumindest kurzfristig mit einer erhöhten Volatilität am Kapitalmarkt zu rechnen." So bereiteten insbesondere seine protektionistische Wirtschaftsagenda und die Förderung alter Industriezweige wie etwa der Kohlebranche Sorgen.

Keine Veränderung des Status quo an den Märkten
Grund zur Panik besteht laut dem Experten aber nicht: Weder Clinton noch Trump können grenzenlosen Einfluss auf die Wirtschaft nehmen, da sie verfassungsgemäss vom Kongress in ihrem Einflussbereich begrenzt werden. Das US-amerikanische System der Gewaltenteilung stellt sicher, dass ein Präsident die eigenen politischen Ideen alleine nicht durchsetzen kann. Der Frau oder dem Mann im Weissen Haus steht ein Korrektiv durch zwei Kammern des Kongresses entgegen.

Was die wirtschaftliche Entwicklung angeht präsentieren sich die USA derzeit stabiler als von vielen Marktteilnehmern prognostiziert: Das Wachstum der USA hat sich zuletzt gar beschleunigt: Der BIP-Report vom letzten Freitag zeigte für das 3. Quartal eine deutliche Erholung auf ein annualisiertes Wachstum von 2,9 Prozent. "Die Korrekturphase der hohen Lagerbestände scheint jetzt langsam zu Ende zu gehen. Auch die aktuellen Daten für die Verbraucherausgaben im September, die Autoverkäufe und der Einkaufsmanager-Index für Oktober sollten für einen soliden Start des 4. Quartals sorgen", so der Experte. Auch die Arbeitslosenquote liegt weiterhin stabil um 5 Prozent und die Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung fielen zuletzt auf den niedrigsten Stand seit 16 Jahren. Nicht zuletzt ist die aktuelle Berichtssaison aussergewöhnlich positiv: Per letzter Woche Donnerstag hatten Unternehmen, die 65 Prozent der S&P-Marktkapitalisierung repräsentieren, ihre Zahlen für das dritte Quartal vorgelegt. Davon konnten 74 Prozent ihre Ertragserwartungen übertreffen und lediglich 20 Prozent lagen darunter. Der Gewinn pro Aktie sollte sich also im Vorjahresvergleich erholen.

"Diesen Pfad werden die USA kurzfristig auch nicht verlassen ganz gleich, wer die Präsidentschaftswahl für sich entscheiden wird. Für die Märkte und die Wirtschaft dürften die Auswirkungen des Wahlausgangs schwächer ausfallen, als der Wirbel im Vorfeld der Wahlen nahelegt", meint Experte Galler.

Vorerst moderates Wachstum
Kritisch zu bewerten sei jedoch die in den USA zu beobachtende auseinandergehende Wohlstandsschere. In kaum einem entwickelten Industrieland ist die soziale Ungleichheit derart gross wie in den Vereinigten Staaten. Unabhängig davon, wer in das Weisse Haus einzieht, dürfte sich die Wohlstandsschere weiter öffnen. Auch das Haushaltsdefizit, das unter Obama von etwa 10 auf rund 20 Billionen Dollar anstieg, könnte sowohl unter den Demokraten als auch unter den Republikanern bis 2026 auf über 85 Prozent des BIPs wachsen. "Solange das Verbrauchervertrauen und die Baubeginne aber auf hohem und die Arbeitslosenquote auf niedrigem Niveau verharren, erwarten wir weiterhin ein moderates Wachstum in den USA", erklärt Tilmann Galler.

Ruhe bewahren
Die zuletzt nachlassenden Unternehmensgewinne, die als verlässlicher Frühindikator dienen, signalisieren für die kommenden Jahre eine nachlassende Wirtschaftsdynamik. "Innerhalb der nächsten vier Jahre sollten Anleger sich darauf einstellen, dass die USA in eine Rezession abrutschen könnten", sagt Galler. Nichtsdestotrotz ist der US-Markt weiterhin qualitativ hochwertig und wird als sicherer Hafen wahrgenommen. "Weder die Aussichten auf eine Rezession in den kommenden Jahren noch die Auswirkungen der bevorstehenden Wahlen rechtfertigen drastische Massnahmen", ist Kapitalmarktstratege Tilmann Galler überzeugt. Stattdessen sollen Anleger einen disziplinierten, ausgewogenen Ansatz verfolgen, der es ihnen ermöglicht, weiterhin zu investieren und somit vom Aufwärtspotenzial der noch intakten US-Expansion zu profitieren.

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