Führungskrise und Konjunkturrisiken

Die Weltwirtschaft hat seit der Finanzkrise immer wieder mit Schwächephasen zu kämpfen. (Bild: shutterstock.com,  Alexey Struyskiy)
Die Weltwirtschaft hat seit der Finanzkrise immer wieder mit Schwächephasen zu kämpfen. (Bild: shutterstock.com, Alexey Struyskiy)

Die Welt ist aktuell Zeuge eines Mangels an Führungskraft, durch den sich das Risiko einer Wirtschaftskrise deutlich erhöht hat. Bruno Cavalier von Oddo BHF ist der Meinung, dass ein zentrales Element für das gute Funktionieren einer Gesellschaft – das Vertrauen – verloren ging.

26.09.2019, 05:00 Uhr

Redaktion: lek

Die wirtschaftliche Unsicherheit sei so gross wie seit langem nicht, was Investitionen und Wachstum weiter ausbremsen könnte, meint Bruno Cavalier, Chief Economist bei Oddo BHF Corporates & Markets. "Die USA und Grossbritannien – zwei Länder, die viel für politische und wirtschaftliche Freiheit getan haben – werden derzeit von narzisstischen Clowns regiert, die es einzig auf die Beseitigung einer weltweiten bzw. europäischen Ordnung anlegen, die sie für die Wurzel allen Übels halten", kommentiert Cavalier das aktuelle Weltgeschehen. Dabei bleibe das Vertrauen auf der Strecke.

Die Weltwirtschaft erlebte diesen Sommer das elfte Jahr eines Aufschwungs, der auf die schlimmste Finanzkrise der neueren Geschichte folgte. Allerdings verlief für Cavalier diese Expansionsphase alles andere als gleichmässig. Sowohl zwischen 2011 und 2012 (Eurokrise) als auch zwischen 2015 und 2016 (Ölkrise) verlangsamte sich das Wachstum sehr stark. Aufgrund der Handelsspannungen ist das auch in den letzten 18 Monaten wieder der Fall.

Während der ersten beiden Schwächephasen war das weltweite Wachstum auf rund 2,5% gefallen und damit nicht mehr weit entfernt von der Schwelle zu einer Rezession. Cavalier meint, dass sich das Blatt jedes Mal aufgrund eines positiven Vertrauensschocks im letzten Augenblick gewendet habe. So konnte Mario Draghi 2012 unter Einsatz des gesamten politischen Kapitals der EZB das Vertrauen in die Integrität des Euros wiederherstellen, meint der Ökonom. 2016 haben China und die USA durch entsprechende Massnahmen ihre jeweiligen Volkswirtschaften gemeinsam wieder angekurbelt. Noch liegt der Wachstumswert nicht im kritischen Bereich. Doch diesmal zeichnet sich ein negativer Vertrauensschock ab.

Amerika's Unsicherheit

In den letzten Monaten haben sich für Cavalier nämlich sämtliche Befürchtungen bestätigt, die man seit dem Amtsantritt von Donald Trump wegen der destabilisierenden Folgen seiner Wirtschaftspolitik für die USA haben konnte. Er sagt: "Erst vergeudete Trump im letzten Jahr unvorsichtigerweise den haushaltspolitischen Spielraum, um jetzt mit allen Mitteln den Welthandel zu verteuern und nebenbei täglich die Glaubhaftigkeit der Fed zu untergraben, die ihrerseits durch Zinssenkungen alles in ihren Kräften stehende tut, um den Schaden in Grenzen zu halten. Im Konflikt mit China gibt es wohl kein Zurück mehr. Wir halten es für illusorisch, weiter darauf zu hoffen, dass sich die beiden Länder auf ein Handelsabkommen einigen können."

Da die US-Verbraucher derzeit von Lohn- und Stellenwachstum profitieren, bleiben ihre Ausgaben solide. Zudem haben sie momentan nur in geringem Masse unter den Folgen des Handelskriegs zu leiden. Bei den Unternehmen sieht das gemäss Cavalier anders aus. Die Unsicherheit trübt das Geschäftsklima und die Anlageperspektiven inzwischen spürbar ein. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Sektoren (Erdöl, Luftfahrt) mit spezifischen Problemen zu kämpfen haben.

China's Gratwanderung

Nach den USA kommt Bruno Cavalier auch auf den Osten zu sprechen: "China versucht sich an einer Gratwanderung, um widersprüchliche Ziele miteinander zu vereinen, wie zum Beispiel Stützung der Konjunktur, Begrenzung der Verschuldung, Verhinderung von Immobilienspekulationen. Die Regierung weitet die Massnahmen zur geldpolitischen und finanziellen Lockerung aus. Zwar kann die Verlangsamung noch im Rahmen gehalten, aber nicht mehr geleugnet werden." Indem China seine Währung abwerten lasse, verschaffe sich das Land etwas Luft, um die durch den Handel ausgelösten Belastungen abzufangen, so Cavalier weiter. Bei derartigen Massnahmen ist für ihn allerdings Vorsicht geboten, denn sie können zu Kapitalabflüssen führen und möglicherweise den Zorn Trumps über "Währungsmanipulationen» noch weiter anfachen.

Deutschland's Tatenlosigkeit

Auch Europa lässt Cavalier in seinem Kommentar nicht aus. Hier seien manche politische Probleme mittlerweile vom Tisch ("Gelbwesten» in Frankreich, die Spannungen zwischen Rom und Brüssel nach dem gescheiterten Pokerspiel Salvinis). Das schwerwiegendste aber – der Brexit – bleibt ungelöst. Die Wirtschaft zeigt gemäss dem Spezialisten aktuell ein zweigeteiltes Bild: Während sich die Industrie im Abschwung befindet, stimmt ihn die Lage in den restlichen Sektoren weiter zuversichtlich. Insgesamt gibt es zwischen den beiden Bereichen nur wenig Ansteckungseffekte.

Die Ausnahme ist Deutschland. Dort ist die Krise der Industrie zu gravierend, um spurlos am Arbeitsmarkt und der Wirtschaft als Ganzes vorbei zu gehen. "Die Tatenlosigkeit der Bundesregierung, die sich an ihre Haushaltsgrundsätze klammert wie ein Ertrinkender an seinen Rettungsring, wirkt wie aus einer anderen Welt. Glücklicherweise hat die EZB auf Mario Draghis Initiative bereits eine neue, umfassende geldpolitische Lockerung auf den Weg gebracht. Aber auch sie stellt sich damit den deutschen Verfechtern einer orthodoxen Geldpolitik entgegen," sagt Cavalier.

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