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"Die aktuelle Schwäche lässt sich nur durch Reformen überwinden"

Maarten-Jan Bakkum, Senior Stratege, Multi-Asset bei ING IM
Maarten-Jan Bakkum, Senior Stratege, Multi-Asset bei ING IM

Seit mehreren Jahren müssen wir uns nun zum ersten Mal die Frage stellen, ob die Emerging Markets nach der jüngsten Korrektur inzwischen die Talsohle erreicht haben. Der Wachstumsvorsprung gegenüber den entwickelten Märkten ist mittlerweile auf magere drei Prozentpunkte geschrumpft, also ein Niveau, das bis 2002 noch völlig normal war, so Maarten-Jan Bakkum von ING IM.

20.09.2013, 08:30 Uhr

Redaktion: fab

Bis 2002 verfolgten die Zentralbanken in den USA und Europa eine recht orthodoxe Geldpolitik. Seinerzeit gab es noch nicht die extrem niedrigen Zinsen oder die sogenannte quantitative Lockerung, die wir in den letzten zehn Jahren erlebt haben. China gehörte damals noch nicht der Welthandelsorganisation WTO an und war auch noch nicht als die beispiellose Wachstumslokomotive der aufstrebenden Welt – vor allem der Rohstoff produzierenden Länder – in Erscheinung getreten.

Nun scheinen wir indes in eine neue Phase einzutreten: In China hat das Wachstumstempo deutlich nachgelassen. Ein passender Anlass, die letzten zehn Jahre Revue passieren zu lassen und die aktuelle Situation an den Emerging Markets der Lage vor 2002 gegenüberzustellen. Kann sich die Wachstumsentwicklung in den Schwellenländern auch ohne die kräftigen Kapitalzuflüsse aus den Industrieländern und ohne zweistelliges Wachstum der chinesischen Einfuhren wieder beschleunigen? Ist der Privatsektor immer noch dynamisch genug, um Investitionen und Konsum dauerhaft auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten? Besteht volkswirtschaftlich ein hinreichendes Gleichgewicht, um die Zinsen niedrig und die Wechselkurse stabil zu halten?

In den goldenen Jahren zwischen 2002 und 2010 stieg das Wachstumsgefälle zwischen aufstrebenden und entwickelten Märkten auf stattliche 7 Prozentpunkte, die Renditen an den Aktienmärkten der Schwellenländer lagen viermal höher als in den USA und Europa. In den ersten Jahren nach 2002 profitierten die meisten Emerging Markets massiv von den Reformen, die während und nach den Krisen in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre umgesetzt worden waren. Da Schieflagen zunehmend ausgeräumt wurden, konnten die Zuwachsraten klettern. Die Zinsen sanken, Produktivität und Wettbewerbsstärke stiegen kontinuierlich.

Doch die Reformfreude im Hinblick auf Strukturverbesserungen war nicht von Dauer. Die Schwellenländer begannen, den immensen Zustrom ausländischen Kapitals und die stetig steigende Nachfrage aus China als selbstverständlich hinzunehmen. Die Landeswährungen befanden sich im Aufwind; dadurch blieb die Inflation niedrig und die Zinsen fielen weiter. Und so verebbte der Reformdruck. Ab 2005 ging es mit der Wirtschaftspolitik deutlich bergab. Der Trend zur Liberalisierung kam ins Stocken, Reformen wurden auf Eis gelegt, staatliche Eingriffe nahmen zu. Mit steigenden Haushaltsdefiziten verschlechterte sich auch die Zahlungsbilanz vieler Länder rapide.

Mittlerweile hat sich das Investitionsklima in vielen Schwellenländern derartig eingetrübt, dass die private Investitionstätigkeit praktisch zum Erliegen gekommen ist. Zudem haben die Arbeitsmärkte an Flexibilität eingebüsst, neue Monopole sind entstanden und staatliche Eingriffe haben zugenommen. Gleichzeitig führt die Bezuschussung von Lebensmittel- und Energiepreisen zu strukturell hohen Defiziten und Teuerung. Diese Faktoren haben das Wachstumspotenzial massiv geschwächt und sind der Hauptgrund, warum die Emerging Markets in jüngster Zeit unter erheblichen Druck geraten sind.

Die aktuelle Schwäche lässt sich nur durch Reformen überwinden. Dazu muss der „Leidensdruck“ allerdings hoch sein, vor allem in Ländern, in denen nächstes Jahr Wahlen stattfinden. Insofern könnte die erneute Unruhe an den Märkten förderlich sein, doch noch passiert reformmässig herzlich wenig. Um die politischen Entscheidungsträger aus ihrer Trägheit wachzurütteln, bedarf es offensichtlich noch mehr Druck in Form von Kapitalabflüssen, höheren Zinsen und geschwächten Währungen. Bis es soweit ist, kann vom Erreichen der Talsohle nicht die Rede sein.

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