Thomas Heller, Leiter Research und Chief Investment Officer, Schwyzer Kantonalbank
Die Corona-Pandemie stürzt Volkswirtschaften weltweit in eine tiefe Rezession. Thomas Heller, Leiter Research und CIO der Schwyzer Kantonalbank, spricht über den weiteren Wirtschaftsverlauf im Zuge der Krise sowie über die Gefahr von Blasenbildungen an den Märkten und rät den Anlegern, die erhöhte Volatilität auszuhalten und die Füsse stillzuhalten.
05.05.2020, 08:54 Uhr
Autor: René Maier
Das Seco erwartet im 2020 einen drastischen Rückgang des Bruttoinlandprodukts um 6,7%, allerdings mit grosser Prognose-Unsicherheit – je nachdem wie lange die Eindämmungs-Massnahmen der Corona-Pandemie im In- und Ausland bestehen bleiben. Was ist Ihre Einschätzung zu diesem "mittleren" Szenario und wie wird die Erholung der Schweizer Wirtschaft aus Ihrer Sicht verlaufen?
Thomas Heller: Wenn wir davon ausgehen, dass die vor kurzem eingeleiteten Lockerungsmassnahmen bestehen bleiben (können) und Schritt für Schritt weitere hinzukommen, scheint dieses "mittlere" Szenario mit einem scharfen Einbruch und einer substanziellen, aber nicht allzu raschen Erholung gegen Ende Jahr und im 2021 vernünftig. Ob das BIP dann letztlich in diesem Jahr insgesamt wirklich um 7% schrumpfen wird, wage ich gar nicht zu prognostizieren. Aber der Verlauf ist realistisch.
Wie stark ist die Erholung in der Schweiz von jener im Ausland abhängig?
Als kleine offene Volkswirtschaft ist die Schweiz seit jeher massgeblich von der konjunkturellen Entwicklung im Ausland – allen voran in Europa – abhängig. Das gilt auch diesmal. Da in der aktuellen Krise aber auch stark binnenorientierte Wirtschaftsbereiche wie etwa die Gastronomie oder der Detailhandel negativ betroffen sind, ist die relative Abhängigkeit vom Ausland diesmal wohl etwas geringer als in "normalen" Zeiten. Das heisst, dass mit Massnahmen im Inland tatsächlich auch etwas bewirkt werden kann.
Wie können bzw. sollten der Bund und die Nationalbank die Erholung im weiteren Verlauf unterstützen?
Der Bund ist meines Erachtens mit seinem Programm auf dem richtigen Weg. Es mag Fehler und Lücken haben, indem es nicht jeden Fall abdeckt und vereinzelt missbraucht wird. Aber es musste schnell und möglichst einfach gehen. Dem wurde der Bundesrat gerecht. Jetzt kann ja bei Bedarf angepasst und nachgebessert werden. Die SNB kann zwei Dinge tun. Sie kann dafür sorgen, dass genügend Liquidität vorhanden ist und der Markt nicht bei schwindendem Vertrauen zwischen den Marktakteuren austrocknet wie in der Finanzkrise. Ausserdem kann sie verhindern, dass der Schweizer Franken zu stark wird und die hiesigen Unternehmen zusätzlich belastet - was sie zuletzt sehr aktiv getan hat.
Staaten und Notenbanken pumpen enorme Geldmengen in die Wirtschaft, um die Folgen der Corona-Pandemie einzudämmen.
Wie hoch schätzen Sie die Gefahr von Blasenbildungen ein?
Dass es in verschiedenen Märkten zu sehr hohen oder gar übertriebenen Bewertungen kommen kann – oder bereits gekommen ist –, ist angesichts der Liquiditätsschwemme der Geld- und der Fiskalpolitik zu erwarten. Vor allem auf der Zinsseite stecken zu grossen Teilen die Regierungen und die Notenbanken dahinter. Die werden sich auch nicht panikartig verabschieden, wenn's kritisch wird. Sie werden im Gegenteil noch mehr kaufen. Anders am Aktienmarkt, wo der "amtliche" Einfluss wesentlich geringer ist, sich die Anleger in unsicheren Phasen rasch zurückziehen und eine Blase – sofern es denn eine gibt – zum Platzen bringen.
Droht nach der Rezession eher eine Deflation oder eine Hyperinflation?
Weder noch. Derzeit wirken desinflationäre Kräfte. Von einer echten Deflation, also einem allgemeinen, signifikanten und anhaltenden Rückgang des Preisniveaus, gehe ich allerdings nicht aus. Dafür wird der Abschwung, so stark er auch ausfallen wird, zu kurz sein. Nach der Corona-Krise rechne ich mit einem Anziehen der Teuerung. Einerseits gibt es einen beachtlichen aufgestauten Nachfragebedarf, der auf nicht vollständig wiederhergestellte Angebotskapazitäten trifft. Kommt es da zu Engpässen, wirkt das zumindest kurzfristig preistreibend. Andererseits wird es zu einer gewissen Deglobalisierung kommen. Das Abwägen zwischen der Suche nach dem günstigsten Preis und der Sicherung der Lieferketten wird wohl öfter als bisher zugunsten der Lieferketten ausfallen. Es wird sich zeigen, wie stark dieser Effekt sein wird, er spricht aber ebenfalls für höhere Preise. Von einer Hyperinflation mit zweistelligen Monatsteuerungsraten sind wir aber weit entfernt.
Wie wirkt sich diese weltweit tiefe Rezession kurz und mittelfristig auf die Finanzmärkte aus?
Die Rezession ist eingepreist. Das genaue Ausmass kennen wir zwar nicht, aber wir wissen, dass der Abschwung sehr tief ausfallen wird. Ob es dann global wirklich -3% sind, wie es der IWF prognostiziert, spielt kaum eine Rolle. Ausserdem können wir davon ausgehen, dass die Zinsen noch lange tief bleiben werden. Die Leitzinsen sowieso, aber auch die langfristigen Zinsen. Trotz der anziehenden Inflation werden die Notenbanken dafür sorgen wollen oder müssen, dass die Zinsen angesichts der enormen Verschuldung von Staaten und Unternehmen nicht zu stark ansteigen.
Haben wir die Bodenbildung an den Aktienmärkten erreicht?
Den Tiefpunkt haben wir nach Mitte März wohl gesehen. Seither haben die Märkte ja gegen 20% zugelegt, teilweise noch mehr. Aber es gibt ein gewisses Rückschlagspotenzial. Denn ich glaube, dass nach der markanten Erholung der letzten paar Wochen viel Positives eingepreist ist. Die Bewertungen haben auch schon wieder deutlich angezogen. Da braucht es wenig, um die Kurse ins Rutschen zu bringen. Gerade wenn es im Zuge der angelaufenen Lockerungen des Lockdown Anzeichen für wieder steigende Coronafälle gibt, wird der Markt vermutlich sehr nervös reagieren. Insofern rechne ich durchaus mit einem nochmaligen Rückschlag. Vielleicht hat er sogar schon begonnen. Wir haben deshalb vor wenigen Tagen entschieden, unsere taktische Positionierung in den Portfolios anzupassen und die Aktienquote zu reduzieren. Ich gehe jedoch nicht davon aus, dass wir die Tiefstände vom März nochmal sehen werden.
Wie sollten sich Anleger in dieser Zeit verhalten, beziehungsweise welche Anlagestrategie mit welchen Anlageprodukten bieten das beste Risiko-Rendite-Profil?
Die eine überlegene Anlagestrategie gibt es nicht. Es ist vielmehr eine sehr individuelle Frage. Ganz allgemein gilt: Die Diversifikation zwischen und innerhalb von Anlageklassen sowie über verschiedene Regionen bleibt ein wichtiges Gebot. Anleger, die gut diversifiziert und ihrem Risikoprofil entsprechend investiert sind, sollten auch so investiert bleiben. Für die meisten Anleger gilt, die erhöhte Volatilität auszuhalten und die Füsse stillzuhalten. Einen Tipp kann ich doch geben: Regelmässige Investments, zum Beispiel mittels eines Fondssparplans, sorgen dafür, dass man viele Fondsanteile kauft, wenn die Kurse tief sind und wenige Anteile, wenn die Kurse hoch sind. Das zahlt sich auf Dauer aus. Grundsätzlich sollten sich Anleger auch im aktuellen Umfeld jedoch nicht anders verhalten als sonst. Wer die derzeitige Unsicherheit nicht aushalten kann, sollte hingegen das eigene Risikoprofil grundlegend überprüfen.
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