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Deutschland bekämpft Inflationsgefahr

Willem Verhagen, Volkswirt bei ING Investment Management.
Willem Verhagen, Volkswirt bei ING Investment Management.

Könnte Deutschland zum "nächsten" Spanien werden? Lesen Sie den Marktkommentar von Willem Verhagen, Volkswirt bei ING Investment Management.

25.11.2013, 09:32 Uhr

Redaktion: dab

Obwohl die Eurozone die sechs Quartale andauernde Double-Dip-Rezession jetzt hinter sich gelassen hat, wird die Arbeitslosenrate in der Region noch mindestens sechs weitere Quartale lang bei rund 12 % und die Inflationsrate deutlich unter 2 % verharren. Sähe sich die US-Notenbank Fed mit solchen Zahlen konfrontiert, hätte sie mittlerweile alle Register gezogen, um die USA vor einer Inflationsspirale à la Japan zu bewahren. Die eigentliche Frage lautet daher nicht etwa, warum die EZB die Zinsen im November gesenkt hat, sondern warum das nicht früher und offensiver geschehen ist. Die Antwort würde wahrscheinlich Hinweise auf die vermeintlich überwiegend strukturelle Arbeitslosenrate, die Notwendigkeit von Reformdruck et cetera beinhalten.

Doch auch die interne Politik im Zentralbankrat wird eine grosse Rolle gespielt haben. In den letzten paar Jahren haben prominente Notenbanker wie Weidmann, Asmussen, Knot und Nowotny (aus Deutschland, den Niederlanden und Österreich) unkonventionelle EZB-Massnahmen wie das "Securities Markets Programm" und das "Outright Monetary Transactions Programm" kritisiert, da es sich dabei um eine Form der monetären Finanzierung handle. Aus ihrer Sicht kommt dies einer geldpolitischen Todsünde gleich, die um jeden Preis zu vermeiden sei, selbst wenn dies den Euro in seiner Existenz bedroht. Diese Kluft zwischen den „Falken“ aus dem Norden und den „Tauben“ aus dem Süden im Zentralbankrat setzt sich jetzt auch im wirtschaftspolitischen Bereich fort. Die Falken sind anscheinend bereit, eine Inflationsrate hinzunehmen, die beharrlich hinter dem Zielwert zurückbleibt. Nur so ist ihrer Überzeugung nach zu verhindern, dass irgendwann in ferner Zukunft die Inflationsrate über den Zielwert klettert oder sich kreditgetriebene Kursblasen bilden.

Aus der Sicht von ING sind letztere Risiken für den Euroraum insgesamt angesichts des gedämpften BIP- und Kreditwachstums in jüngerer Zeit, das sich vorerst fortsetzen dürfte, extrem gering. Gleichwohl sind sie für Deutschland – isoliert gesehen – sicherlich real. Und genau so sollte das in einer Währungsunion auch sein. Vor 2008 war das Gegenteil der Fall. Die Geldpolitik war zu locker für die Peripherie, daher kam es zu einer Negativspirale zwischen steigender Inflation, sinkenden Realzinsen, weiter steigender Nachfrage und weiter steigender Inflation. Für Spanien etwa war die Geldpolitik zu locker, weil Deutschland eine von Strukturreform und Lohnzurückhaltung angetriebene interne Abwertung durchlief. Hört sich bekannt an? Jetzt hat sich das Blatt gewendet und Deutschland sieht sich mit einer Geldpolitik konfrontiert, die zu locker für den heimischen Bedarf ist.

Diese Prozesse, bei denen zunehmende Divergenzen zwischen den einzelnen Ländern eine Negativspirale auslösen, weil sie ein und demselben Schlüsselzins unterliegen, sind in einer unvollständigen Währungsunion unvermeidlich. Das liegt daran, dass es an Ausgleichsmechanismen in Form unionsweiter Fiskaltransfers und hoher Arbeitskräftemobilität fehlt. Damit stellt sich die Frage, ob Deutschland völlig hilflos zusehen muss, wie es allmählich zum „nächsten Spanien“ wird.

Soweit es die Immobilien- und Kreditblase betrifft, muss die Antwort ein klares „Nein“ sein. Deutschland kann und muss makroprudenzielle Massnahmen nutzen, um das Risiko eines kreditgetriebenen (Immobilien-)Preisbooms zu reduzieren. Beim gegenwärtigen Niveau von Verschuldung und Häuserpreisen ist das Risiko einer Blasenbildung nach wie vor gering. Insofern sind ein gewisses Mass an erneuter Fremdmittelaufnahme der deutschen Haushalte und höhere Häuserpreise dazu angetan, die Konsumausgaben in Deutschland zu fördern. So könnte u. a. das gewaltige deutsche Leistungsbilanzdefizit zum Teil abgebaut werden. Doch wie wir alle wissen, kann ein kreditgetriebener Immobilienboom schnell aus dem Ruder laufen. Die aufsichtsrechtlichen Instanzen müssen also wachsam bleiben.

Im Gegensatz dazu käme es nach einem Kampf gegen Windmühlen gleich, sollte Deutschland versuchen, den Aufwärtsdruck auf die Inflationsrate zu bekämpfen, so ING. Tatsächlich ist es sogar so, dass die Eurozone nur dann ein Gleichgewicht schaffen und dabei zugleich Preisstabilität mit einer EWU-weiten Teuerungsrate von 2 % wahren kann, wenn die Inflation in Deutschland deutlich über 2 % oder sogar über 3 % liegt. Sofern Deutschland seine eng begrenzten nationalen Interessen weiter verfolgen und die Inflation in Deutschland bei höchstens 2 % halten will, so verdammt das Land die EWU-Peripherie damit zu einer höheren Deflationsgefahr und in jedem Fall zu einer länger anhaltenden Durststrecke.

Die kann letztlich auch nicht im Interesse Deutschlands sein. Anhaltend hohe Arbeitslosenzahlen an der Peripherie sind gleichbedeutend mit einer steigenden Gefahr sozialer Unruhen, die im Ergebnis zur Wahl populistischer EWU-feindlicher Regierungen führen könnten. Dann würden sich die Turbulenzen an den Finanzmärkten mit aller Macht zurückmelden. Zudem wird eine hohe öffentliche und private Verschuldung immer weniger tragbar, je länger das niedrige nominelle Wachstum in der Region anhält. Die Länder an der Euro-Peripherie sind weitgehend im Ausland verschuldet, und einmal darf man raten, welches Land zu den grössten Gläubigern zählt.

Inflationsdämpfende Wirkung des WKM wohl immer noch präsent

Deutschlands offensichtlicher Unwille, eine höhere Inflationsrate zuzulassen, legt nahe, dass die inflationsdämpfende Wirkung des Wechselkursmechanismus (WKM) unverändert präsent ist. Mit anderen Worten: Wann immer die Entwicklungen innerhalb des WKM zu stark voneinander abwichen, hatte der Anpassungsprozess symmetrisch zu verlaufen. Da Deutschland das Land mit der höchsten geldpolitischen Glaubwürdigkeit war, bedeuteten Spannungen im System stets einen Aufwärtsdruck auf die D-Mark. Zum Ausgleich sollte Deutschland die inländische Geldmenge durch Kapitalzuflüsse anschwellen lassen, so dass im Ergebnis die Zinsen sanken und die Teuerung stieg. Dasjenige Land, dessen Währung unter Abwertungsdruck stand, sollte das Gegenteil tun und seine Geldmenge schrumpfen lassen, um so höhere Zinsen und niedrigere Inflation zu begünstigen. In der Praxis sterilisierte Deutschland indes seine Kapitalzuflüsse. Dadurch blieben Zinsen und Inflation in Deutschland unverändert. Das bedeutete, dass die anderen Länder die Zinszügel im Verhältnis stärker anziehen mussten, als dies idealerweise bei einer symmetrischen Anpassung der Fall gewesen wäre. Insgesamt implizierte dies für die gesamte Region eine straffere geldpolitische Ausrichtung.

Im Prinzip wiederholt sich dieses Szenario jetzt wieder: Die Peripherie wird in einen massiven fiskalischen Schrumpfungsprozess gezwungen, ohne dass es in den Kernländern zu einer – zumindest teilweise – ausgleichenden fiskalischen Expansion kommt. Was die Geldpolitik betrifft, scheint die EZB der volkswirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands ein unverhältnismässig grosses Gewicht einzuräumen – grösser jedenfalls, als Deutschlands Anteil am BIP der EWU und ihrem Verbraucherpreisindex rechtfertigen würde. Das mag daran liegen, dass das politische Gewicht der „Kernfraktion“ im Zentralbankrat de facto den ihr de jure zustehenden Einfluss übersteigt. Denn schliesslich ist der anhaltende gute Wille der deutschen Politik und des deutschen Volkes unerlässlich für das langfristige Überleben des Euro.

Doch diese Strategie ist nicht ohne Risiko. Im Endeffekt waren die Folgen der asymmetrischen Anpassung im Rahmen des WKM zwar teuer, aber nicht verheerend. Falls die Kostenlast für ein Land zu schwer wurde, konnte es als letzter Ausweg seine Währung immer noch abwerten. Das Nachfolgesystem, die Währungsunion, ist als weitaus symmetrischerer Rahmen konzipiert, bei dem alle Länder an den geldpolitischen Entscheidungen beteiligt sind. Damit wären sie eigentlich alle gleichsam für die überregionalen Anpassungen verantwortlich. Jedenfalls sind inflationsdämpfende Impulse das Letzte, was Europa derzeit braucht.

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