Der Geldhahn lässt sich nicht so einfach schliessen

Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel.
Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel.

Seit dem Zusammenbruch der Lehman Brothers 2008 hing die Weltwirtschaft am Liquiditätstropf der Notenbanken, bis vor kurzem eine Erholung einsetzte. Für die Währungshüter wäre es nun an der Zeit ihr Krisenmanagement zu beschränken – wenn die Märkte mitspielen würden. Lesen Sie dazu den Kommentar von Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel.

01.10.2013, 09:50 Uhr

Redaktion: fab

Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und ihre Pendants in Europa und Japan sind gewissermassen Opfer ihres eigenen Erfolgs, denn seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 haben sich die Notenbanken ausserordentlicher geldpolitischer Massnahmen bedient, um zunächst die drohende Depression abzuwenden und anschliessend die zaghafte Konjunkturerholung zu fördern. Die Nullzinspolitik des Fed sowie seine massive Bilanzausweitung infolge mehrerer Anleihenkaufprogramme («Quantitative Easing» bzw. «quantitative Lockerung», QE) stellten Eingriffe von zuvor ungekannter Dauer und ungekanntem Ausmass dar.

Zweifelsohne haben die Zentralbanken entscheidend dazu beigetragen, den Finanzmärkten wieder auf die Beine zu helfen. Zudem haben sie für anhaltend niedrige Realzinsen gesorgt. Bis der Einfluss dieser Massnahmen in der Realwirtschaft spürbar wurde, ist aber viel Zeit verstrichen. Ermutigende Anzeichen für eine gleichzeitig einsetzende Konjunkturerholung liessen in den Industrieländern bis zum Sommer 2013 auf sich warten. Insbesondere die Wirtschaft der Vereinigten Staaten hat sich trotz höheren Sozialversicherungssteuern und automatischen Ausgabenkürzungen sehr widerstandsfähig gezeigt: Die Arbeitslosenquote ist bis zum August stetig auf 7.3 Prozent zurückgegangen, und die jüngsten Daten des Institute of Supply Management zur industriellen Produktion sagen eine breit abgestützte Erholung voraus.

Liebgewonnene Zückerchen der US-Notenbank
Weshalb tut sich das Fed nun also schwer, die Liquiditätsflut wieder einzudämmen? Im September sprachen sich die Währungshüter für eine Weiterführung ihrer Anleihenkäufe in Höhe von 85 Milliarden US-Dollar pro Monat aus, obwohl die Kommunikation der Notenbank zuvor auf ein Zurückfahren dieses Programms schliessen liess. Die anstehenden Verhandlungen über den Staatshaushalt und die Schuldenobergrenze in den USA sowie die unter den Erwartungen liegenden Daten für den Arbeitsmarkt im August dürften hier eine wesentliche Rolle gespielt haben. Mit Blick auf die Fundamentaldaten zeigt sich, dass der Anstieg der Marktzinsen ab Mai 2013 ein weniger lockeres Marktumfeld zur Folge hatte. Zudem hat in diesem Zusammenhang die Unsicherheit hinsichtlich der kurzfristigen Wirtschaftsaussichten zugenommen. Daher will das Fed eine abwartende Haltung einnehmen, bis eindeutigere Anzeichen für eine nachhaltige Konjunkturerholung vorliegen. Einmal mehr stellt sich hier aber die klassische Frage, ob das Huhn oder das Ei zuerst kam: Hatte nicht die Ankündigung des Fed, seine unorthodoxen Massnahmen allmählich auslaufen zu lassen («Tapering»), die Treasury-Renditen erst in die Höhe getrieben? Die Normalisierung der Geldpolitik stellt das Fed und mit ihm die meisten Notenbanken in den Industrieländern vor das Problem, dass die Börsen hierdurch einbrechen könnten. Ein blosser Hinweis auf «Tapering»-Pläne löste im Mai bereits eine Verkaufswelle in den Zins- und Schwellenlandmärkten aus und zeigte, in welchem Ausmass die Finanzmärkte von der Liquiditätszufuhr abhängen – der Begriff «schwere Liquiditätssucht» drängt sich auf.

Gefahr von Anlageblasen?
Dennoch gehen die Vontobel-Spezialisten davon aus, dass die US-Wirtschaft an Fahrt gewinnen wird. Die (über)vorsichtige Haltung des Fed, die sich durch die Fortsetzung des Kaufprogramms äussert, erhöht in der Tat die Chancen auf eine positive Entwicklung der Wirtschaft. Ganz allgemein erholt sich die Konjunktur weltweit, der Inflationsdruck ist gering und die Zentralbanken betreiben nach wie vor eine lockere Geldpolitik. Dies ist ein guter Nährboden für die Aktienmärkte und die risikobehafteten Anlagen. Allerdings könnte eine solche Situation auch die Entstehung von Anlageblasen begünstigen.

Aufgrund vernünftiger Bewertungen und anhaltend besserer Einkaufsmanager-Indexdaten haben die Experten von Vontobel im Verlauf des letzten Monats ihre Engagements in Aktien aus der Eurozone weiter ausgebaut. Im Zuge der massiven Verkaufswelle von Zinspapieren aus Schwellenländern in Lokalwährung haben die Experten die bestehenden Positionen vorsichtig aufgestockt – diese Märkte dürften in Kürze von der Erholung der Industrieländer profitieren. Zudem sorgen stabilere Renditen bei US-Treasuries bei den schwächsten Ländern für eine Atempause, in der sie ihre Leistungsbilanzdefizite angehen können. Gold bewegt sich inzwischen in einer breiten Preisspanne zwischen 1‘200 und 1‘450 US-Dollar. Geschickte Anleger dürften hier Chancen realisieren können. Die kurzfristige Kursschwäche des US-Dollar ist eine logische Folge der Haltung des Fed. Mittel- bis langfristig halten die Experten von Vontobel an ihrer positiven Einschätzung des «Greenback» fest.


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