Bald schlägt die Stunde der Value-Investoren

Hans Ulrich Jost, Portfoliomanager bei GAM
Hans Ulrich Jost, Portfoliomanager bei GAM

Der Anlagestil "Value", der auf sogenannte Substanzwerte setzt, erlebte 2017 ein miserables Jahr. Hans Ulrich Jost von GAM sieht erste Anzeichen dafür, dass sich eine Rückkehr zur bewertungsbasierten Aktienauswahl ankündigen könnte.

02.02.2018, 11:37 Uhr

Autor: sif/cwe

"In den letzten zehn Jahren haben wir gesehen, wie die meisten Renditekurven in den negativen Bereich gezogen wurden und dort viel länger blieben, als selbst die moderatesten Zentralbanker erwartet hätten," kommentiert Hans Ulrich Jost, Portfoliomanager bei GAM. Obwohl dieses Szenario vielleicht die grösste Anomalie seit der grossen Depression darstellt, seien anscheinend viele Marktteilnehmer der Meinung, dass es sich dabei um die neue Normalität handle und dass diese für immer andauern wird. Der Experte fragt sich: "Wieso sollte sich also diese Situation eher früher als später verändern?"

Zwischen 2000 und 2007 haben sich die Aktienmärkte von einer grossen Blase in Wachstumswerten zu einer grossen Blase bei Substanzwerten bewegt. "Diesmal dürfte die Rotation zurück in Substanzwerte noch ausgeprägter ausfallen", meint Jost. Der Markt hat seit 2009 neue Anlagevehikel wie ETFs und eine breite Palette anderer Produkte im Wert von rund USD 2 Billionen geschaffen, die alle genau die gleichen Sensitivitäten verfolgen – nämlich Indikatoren für niedrige Volatilität, Qualitätswachstum und Rendite. Die Idee, dass diese Produkte weiterhin robuste Renditen liefern können, basiere jedoch auf der Annahme, dass die wirtschaftliche Dynamik nachlasse und die fünf deflationären Faktoren, welche die Inflation seit fast einem Jahrzehnt stark gedämpft haben (straffe Finanzpolitik in der Eurozone, der "China-Effekt", stark fallende Reallöhne, tiefe Rohstoffpreise und der wachsende Einfluss von Discountern im Einzelhandel), weiterhin das Marktumfeld dominieren werden.

Umgekehrt weist Jost darauf hin, dass die Frühindikatoren von letztem Dezember die Spitzenwerte der Jahre 2007 und 2011 übertrafen, das Konsumentenvertrauen in ganz Europa allmählich neue Höchststände erreiche und jeder der fünf obengenannten deflationären Faktoren bereits deutlich gekehrt habe. "Fiskalpolitische Hemmnisse sind zu Anreizen geworden, Chinas Wirtschaft hat den Wendepunkt erreicht, Arbeiterlöhne steigen rapide, die meisten Rohstoffpreise sind um 50% von den Tiefstständen gestiegen und die Discounter streben nicht mehr nach Marktanteilen um jeden Preis", zählt Jost auf. Dennoch würden europäische Substanzwerte immer noch wie in einem deflationären Szenario bewertet.

Die Ära der vermeintlichen "Disruptors"
Die Zurückhaltung von vielen Anlegern bei Substanzwerten könnte auf die Annahme zurückzuführen sein, dass sogenannte Disruptors die üblichen zyklischen Kräfte daran hindern würden, sich zu entfalten. Einige dieser vermeintlichen Disruptor-Beispiele zeigt Jost nachfolgend auf:

"Schieferöl eats it all"
Im Juni 2016 rutschte der Rohölpreis wieder auf rund USD 46 ab, als die US-Produktionszahlen die Erwartungen übertrafen und das Gespenst "Schieferöl" erneut Marktturbulenzen heraufbeschwor. Allerdings sind nun die lukrativsten Vorkommen mit den effizientesten Bohrtürmen und den besten Teams inzwischen ausgeschöpft. "Somit müssen die grossen Ölkonzerne künftig eine deutlich geringere Effizienz und damit höhere Break-Even-Werte in Kauf nehmen", kommentiert Jost. Mit der Entscheidung der OPEC, die Produktionskürzungen bis Ende 2018 zu verlängern, erwartet Jost einen Rückgang der OECD-Lagerbestände und einen Anstieg der Ölpreise, da der Ölmarkt wohl bis Ende des Jahres stark in ein Defizit gedrängt werden könnte. Längerfristig wird der Ölpreis natürlich wieder Richtung Herstellungsgrenzkosten tendieren.

"Amazon eats it all"
Mitte Juni 2017 erwarb Amazon Whole Foods Market und kündigte bei 15 ausgewählten Produkten Preissenkungen von 50% an. Dies wurde vom Markt als Zeichen dafür genommen, dass der Online-Riese den Lebensmitteleinzelhandel aus dem Geschäft drängen würde. Amazon ist jedoch spezialisiert auf Beschaffung, Lagerung und Vertrieb von Gebrauchsgütern in rauen Mengen ohne Verfallsdatum und mit massiven Preisnachlässen. Frische Lebensmittel sind ein vollkommen anderes Geschäft. In den Märkten scheint der Glaube vorzuherrschen, dass Amazon es trotzdem schaffen kann. Aber nach 18 Jahren des Versuchens scheinen sie immer weiter hinter den führenden etablierten Unternehmen in dem Bereich zurückzubleiben, anstatt aufzuholen.

"Tesla eats it all"
Im August 2017 führte die Überzeugung, dass Elektrofahrzeuge von Tesla den traditionellen Automobilmarkt dezimieren würden, zu einem massiven Druck auf die Aktienkurse von Erstausrüstern. Allerdings haben etablierte Autohersteller wie Daimler und VW seit dem Kohlendioxid-Skandal 2015 im Bereich der elektrischen Fahrzeuge deutliche Fortschritte gemacht und sehr glaubwürdige Elektrofahrzeug-Strategien mit detaillierten Plänen für die gesamte Produktpalette entwickelt. Diese Firmen sind Experten im Bereich Design und investieren 10- bis 20-mal so viel in Forschung und Entwicklung wie Tesla, welches massiv verschuldet ist und Kapital verbrennt.

Fintech gibt den "strukturell herausgeforderten" Banken den Rest
Es ist fast schon zur Gewohnheit geworden, Banken als strukturell herausgefordert zu bezeichnen, dass viele Investoren diesen Satz blindlings wiederholen. Der Hauptgrund für die Halbierung der Eigenkapitalrenditen in diesem Sektor zwischen 2007 und 2017 sei gemäss Jost jedoch darauf zurückzuführen, dass die Banken innerhalb dieses Zeitraums aufgrund regulatorischer Vorgaben verpflichtet wurden, ihr CET1-Kapital zu verdoppeln. Dies ist eine einfache mathematische Funktion von Zähler und Nenner und hat wenig mit der Ertragskraft der Banken zu tun. Kontinentaleuropäische Banken, die unterhalb des Buchwerts und zu einstelligen KGVs gehandelt werden, zählt Jost zu den attraktivsten Anlagemöglichkeiten, die derzeit im Value-Universum verfügbar sind. Und dies bei wachsenden Dividendenrenditen von rund 4% bei bescheidenen Ausschüttungsquoten von 45-50% und dem zusätzlichem Potenzial für Aktienrückkäufe.

Eine Rückkehr zu bewertungsbasierten Aktienpreisen
Trotz der erneut miserablen Performance von Value-Strategien im letzten Jahr gibt es erste Anzeichen dafür, dass Anlageansätze, die auf geringe Volatilität, Qualitätswachstum und Rendite setzen, allmählich ins Stocken geraten. "Dies könnte eine Rückkehr zu bewertungsbasierten Aktienkursen einläuten, durch die fundamentale Verwerfungen korrigiert werden müssten", glaubt Jost. Obwohl es grundsätzlich möglich sei, auch in einem wachstumsstarken Umfeld Alpha aus Substanzwerten zu extrahieren, möchten Jost festhalten, dass eine Rückkehr zu Value den wahren Wert des Stockpicking hervorheben würde. Und diese Entwicklung hat seiner Meinung nach erst begonnen. Seit dem Tiefpunkt im Februar 2016 haben sich Value-Strategien nur um 3,7% besser entwickelt als der Markt. Sobald sich diese Entwicklung beschleunigt, werden echte Value-Investoren höchstwahrscheinlich wieder ins Rampenlicht rücken.

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