Aufbruchsstimmung in Indien

Daniel Kunz, Financial Economist bei LGT Capital Partners
Daniel Kunz, Financial Economist bei LGT Capital Partners

Nach der Wahl von Narendra Modi herrscht wieder Aufbruchsstimmung in Indien. Wirtschaftskreise und Investoren hegen grosse Hoffnungen in die neue Regierung. Eine Rückkehr auf die Erfolgsspur scheint möglich. Anleger sollten sich durch das Ausbleiben von radikalen Reformen nicht verwirren lassen, meint LGTs Financial Economist Daniel Kunz, denn Indien muss nicht revolutioniert, sondern lediglich modifiziert werden.

19.11.2014, 11:24 Uhr

Redaktion: dab

Indien galt aufgrund seiner vorteilhaften Demographie, eines rapide wachsenden Mittelstandes und dem immensen Aufholpotential lange als besonders attraktiver Investitionsstandort. Im Nachgang der Weltfinanzkrise 2008 hat die drittgrösste Volkswirtschaft Asiens aber deutlich an Glanz eingebüsst. Zwar war man wegen der geringen Integration in die globale Wertschöpfungskette vom internationalen Nachfrageeinbruch weniger betroffen als andere Schwellenländer, doch geblendet von billigen Krediten infolge der weltweit ultraexpansiven Geldpolitik zeichnete sich die alte Regierung danach nur noch durch Misswirtschaft aus. Reformen versandeten, Bürokratie sowie Staatschulden schwellten an, und das Vertrauen in den Staat litt unter Korruptions- und Betrugsfällen. Indien wurde von den internationalen Investoren deutlich abgestraft, ausbleibende ausländische Investitionen schlugen sich in einem rückläufigen Wirtschaftswachstum nieder, die Währung sackte ab, und die Inflationsraten stiegen an.

Neue Impulse schon alleine dank der Vorschusslorbeeren
Nun scheint dieser Teufelskreis aus fallenden Wachstumsraten, Kapitalabflüssen, Währungsabwertung und steigenden Inflationsraten mit der überwältigenden Wahl von Narendra Modi als Premierminister zumindest vorerst durchbrochen. Modi geniesst dank seinen Erfolgen als Regierungschef des Bundesstaats Gujarat, wo er mit einer zielgerichteten Reformpolitik den Grundstein für ein starkes Wirtschaftswachstum legte, einen hervorragenden Ruf bei Industriellen und Investoren. Bei so viel Beifall kommen erste Erfolge zwangsläufig: Ihm nahestehende Unternehmer nehmen zuvor zurückgestellte Investitionen in Milliardenhöhe vor, Sentiment und Wirtschaftsaussichten verbessern sich. Da sich auch die globalen Investoren vom aufkeimenden Optimismus anstecken lassen, steigen Kapitalzuflüsse, die Währung stabilisiert sich und der Inflationsdruck lässt nach. Letzteres dürfte es der Zentralbank ermöglichen, die Leitzinsen zu senken und somit die Investitionsnachfrage weiter zu stimulieren.

Trotzdem sind längerfristig Reformen zwingend
Um den Schwung aber längerfristig aufrecht zu erhalten und nicht bei ersten Zweifeln wieder in die Abwärtsspirale hineingezogen zu werden, kommt die Regierung dennoch nicht um Reformschritte herum. Dank des starken Mandats – Modis Bharatiya Janata Partei (BJP) verfügt im Unterhaus über die absolute Mehrheit – dürften die Hindernisse für solche Vorhaben geringer sein als unter der Vorgängerregierung. Trotzdem sind keine radikalen Schritte zu erwarten. Modis Wählerbasis, die zu einem grossen Teil aus der aufstrebenden Mittelschicht stammt, würde es nicht goutieren, plötzlich marktkonforme Preise für Benzin und Diesel zahlen zu müssen. Auch Privatisierungen sind in Indien umstritten, gelten sie doch nach jahrzehntelanger sozialistischer Propaganda als partieller Ausverkauf der Nation. Damit sei auch gesagt, dass sich Indiens Langzeitprobleme – schädliche Staatssubventionen, überbordende Bürokratie und Korruption – wohl kaum in Luft auflösen werden. Von der neuen Regierung ist kein radikaler Umbau, sondern nur eine wohldosierte Modifikation zu erwarten. Der Schwerpunkt liegt dabei bei einer Vereinfachung bürokratischer Prozesse.

Indien hat noch ein enormes Aufholpotential
Die Bäume werden damit nicht in den Himmel wachsen. Müssen sie aber auch nicht, denn fast nirgends hängen die Früchte so tief wie in Indien. Sogar gegenüber anderen Schwellenländern besteht noch ein immenses Aufholpotential. Chinas Wohlstand gemessen am Bruttoinlandprodukt pro Kopf ist beispielsweise mehr als viermal so gross wie derjenige von Indien. Brasilien und Russland übertrumpfen das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt sogar um das Sieben- bzw. Neunfache. Natürlich gibt es keine Garantie, dass diese Lücke in naher Zukunft geschlossen wird. Doch der neuen Regierung bietet sich die Möglichkeit, mit Infrastrukturinvestitionen, dem Abbau von Bürokratiehürden und einer damit zusammenhängenden besseren Integration in die globale Wertschöpfungskette vergleichsweise einfach neue Potentiale freizulegen. Davon dürften nicht zuletzt auch die Anleger profitieren.

Indiens Aktienmärkte nähern sich den Höchstständen
Die Grafik (siehe PDF, Seite 2) zeigt die Aktienperformance der BRIC-Staaten sowie des Weltmarktindex. Seit sich die Wahl von Narendra Modi als neuer Präsident abzeichnete, gewann der MSCI Indien deutlich an Wert. Mit einer Rendite von über 30% seit Jahresbeginn, stellt er sowohl die anderen Schwellenländer-Schwergewichte sowie auch den MSCI World klar in den Schatten. Zuvor hatte die Börse in Mumbai jahrelang stagniert und wurde zwischenzeitlich immer wieder von starken Risikoaversionsschüben heimgesucht.

Indiens Wohlstand hinkt den anderen Schwellenländern hinterher
Die zweite Grafik (siehe PDF, Seite 2) zeigt, dass Indiens Wohlstand gemessen am Bruttoinlandprodukt pro Kopf immer noch deutlich unter den Werten der anderen Schwellenländer liegt. Während letztere aufgrund der „Mittleren Einkommens-Falle“ mit einer strukturellen Wachstumsverlangsamung rechnen müssen, kann Indien mit einer pragmatischen Reformpolitik die Wachstumsdynamik weiter verbessern.

Lesen Sie hier den vollständigen Marktkommentar von Daniel Kunz (PDF).

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