Anhaltende Wachstumshemmnisse und ertragsstarke Qualitätsanlagen gefragt

John Greenwood, Chefökonom der Investmentgesellschaft Invesco
John Greenwood, Chefökonom der Investmentgesellschaft Invesco

John Greenwood, Chefökonom der Investmentgesellschaft Invesco, ist überzeugt: Das Schicksal der Weltwirtschaft und die Aussichten für die Finanzmärkte in den Jahren 2012 und 2013 hängen vor allem von drei Faktoren ab – ob die Euro-Krise zeitnah und effektiv gelöst werden kann, ob die US-Wirtschaft ihre zuletzt höhere Dynamik aufrechterhalten kann und ob es der chinesischen Wirtschaft gelingt, eine harte Landung zu vermeiden.

06.01.2012, 10:23 Uhr

Redaktion: sek


Die nähere Betrachtung dieser drei Faktoren stimmt nicht allzu optimistisch, so Greenwood in seinem jährlichen Wirtschaftsausblick für 2012. Zum einen bliebe der Ausblick für die Eurozone überschattet von der Unfähigkeit der Regierungen, die Staatsschuldenkrise in den Griff zu bekommen. Das belaste das Geschäfts- und Konsumklima und führe zu einer erhöhten Verunsicherung und Volatilität an den Finanzmärkten. In den USA beschränke sich die jüngste Erholung auf bestimmte Wirtschaftsbereiche, und die Wachstumshemmnisse des Jahres 2011 – vor allem der anhaltende Entschuldungsbedarf im Nachgang der Finanzkrise und dessen Auswirkungen auf kreditsensitive Sektoren wie den Häusermarkt – dürften den gesamtwirtschaftlichen Ausblick auch 2012 weiter belasten. Derweil hinge das Wachstum der chinesischen Wirtschaft weiterhin sehr stark an der Auslandsnachfrage, so dass eine weitere Verschärfung des Abschwungs in Europa die chinesische Wirtschaft empfindlich treffen dürfe.

„In den Industrieländern hat sich der normalerweise auf eine Rezession folgende Erholungsprozess in den drei Jahren seit der Lehman-Pleite nicht eingestellt“, schreibt Greenwood. Angesichts der Überschuldung, die insbesondere den privaten Haushalten und Finanzinstituten weiter zu schaffen macht, „wird der Schuldenabbau durch Konsumzurückhaltung und den Aufschub von Neuinvestitionen in vielen entwickelten Volkswirtschaften weiter ganz oben auf der Tagesordnung stehen und zu unterdurchschnittlichen Wachstumsraten führen.“ Derweil haben die schuldenfinanzierten staatlichen Stimulusprogramme in vielen Teilen Europas zu einer Staatsschuldenkrise geführt, die auch die USA und Grossbritannien erfassen könnte, wenn die schuldenfinanzierte Ausgabepolitik hier nicht eingeschränkt wird. Daher ist Greenwood überzeugt, dass „das Jahr 2012 in den meisten Industrieländern vom anhaltenden Schuldenabbau im privaten Sektor, staatlichen Ausgabenkürzungen und schwachem Wachstum geprägt sein wird.“ Auf der positiven Seite rechnet er mit einem insgesamt nachlassenden Inflationsdruck.

Euro-Schuldenkrise auch 2012 und darüber hinaus
In den Emerging Markets hat die zunächst kräftige Erholung inzwischen an Fahrt verloren, da es den Schwellenländern nicht gelungen ist, sich von den entwickelten Volkswirtschaften abzukoppeln. Greenwood zufolge wird die anhaltend hohe Abhängigkeit dieser Länder von der Exportnachfrage aus den Industrieländern in den meisten Fällen dazu führen, dass das Wachstum der inländischen Nachfrage nicht stark genug ist, um die Schwäche der Aussenwirtschaft wettzumachen. Das deute auf ein langsameres reales BIP-Wachstum im Jahr 2012 verglichen mit 2010 oder 2011 hin. Wie in den Industrieländern würden die Inflationsraten 2012 weiter sinken.

Die Tatsache, dass die Notenbanken der Industrieländer die Zinsen bis auf weiteres sehr niedrig halten dürften, wird Greenwood zufolge vor allem Qualitätsanlagen mit sicheren und nachhaltigen Erträgen zugutekommen: zum Beispiel Unternehmens- und Hochzinsanleihen, „rentenähnlichen“ Aktien mit soliden Dividendenrenditen oder Immobilienfonds mit verlässlich hohen und stabilen Mieteinnahmen. Rohstoffinvestments hingegen seien anfällig für einen Abschwung in Europa und Asien.

Im Hinblick auf die Eurozone meint Greenwood, dass der vorgeschlagene „Haushaltspakt“ und der geplante Einsatz von „Stabilisierungsinstrumenten“ zwar helfen könnten, die nächste Krise zu vermeiden, aber nicht geeignet seien, um die aktuelle Krise zu lösen. Zudem fehle es diesen Massnahmen an Glaubwürdigkeit in den Märkten. Daher geht Greenwood davon aus, dass die Euro-Schuldenkrise auch 2012 und darüber hinaus andauern wird, verstärkt durch die sich verschärfende Rezession in den hochverschuldeten südlichen Euro-Staaten. Greenwood rechnet 2012 mit einem realen BIP-Wachstum von 0,3% in der Eurozone, bei einer Inflationsrate von 1,8%. Der britischen Wirtschaft traut er ein etwas höheres Wachstum von 1,0% zu.

US-Wirtschaft auf Wachstumspfad, China verliert an Fahrt

Nach dem Aufwärtstrend der letzten vier Monate des Jahres 2011 sieht der Chefvolkswirt von Invesco Anzeichen dafür, dass die US-Wirtschaft auf einen – zwar nicht besonders dynamischen, aber stetigen – Wachstumspfad eingeschwenkt ist. Allerdings glaubt er nicht an eine kurzfristige Rückkehr zum normalen Trendwachstum, da der Schuldenabbau im Haushalts- und Finanzsektor noch mehrere Jahre andauern dürfte. Für 2012 geht er von einem realen BIP-Wachstum von 2,0% aus, bei einer Inflationsrate von 1,4%.

In China hat die Wirtschaft ebenfalls an Fahrt verloren. Hauptgründe dafür sind die schwächere Inlandsnachfrage infolge der progressiven Verschärfung der Geldpolitik in den letzten 18 Monaten und die Auswirkungen der Wachstumsschwäche in den Industrieländern auf das chinesische Exportwachstum. Greenwood rechnet allerdings nicht mit einer harten Landung, sondern mit einem realen BIP-Wachstum von 7-8% im Jahr 2012, bei einer durchschnittlichen Inflationsrate von 3,5%. Auch der Ausblick für die anderen ostasiatischen Volkswirtschaften wird weiter durch die gedämpften Wachstumsaussichten für die entwickelten Volkswirtschaften und die erhöhte Volatilität an den Finanzmärkten überschattet, obwohl sich die Inlandsnachfrage als robust erwiesen hat.

In Japan hat sich die Wirtschaft zwar weiter von den Folgen des verheerenden Erdbebens im März erholt. Dennoch meint Greenwood, dass die japanische Wirtschaft bis 2013 auf ihren Trendpfad des letzten Jahrzehnts zurückkehren wird – ein schwaches Inlandswachstum, das zum Teil durch eine starke Exportwirtschaft kompensiert wird. Für 2012 rechnet er mit einem realen BIP-Wachstum von 2,4%, was vor allem auf positive Vergleichseffekte aufgrund der erdbebenbedingt schwachen Vorjahreszahlen zurückzuführen sein wird. Dabei geht Greenwood von einem anhaltend deflationären Umfeld aus.

Wie die exportorientierten Länder Ostasiens haben auch die lateinamerikanischen Volkswirtschaften in der zweiten Jahreshälfte 2011 deutlich an Fahrt verloren. Vorwiegend bedingt durch Ausseneinflüsse wird sich das regionale Wachstum 2012 voraussichtlich verlangsamen. Greenwood prognostiziert ein reales BIP-Wachstum von rund 3% nach schätzungsweise 4,1% im Jahr 2011.

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