"Zinsen in Europa werden nicht sehr schnell steigen"

Hans Stoter, Chief Investment Officer bei ING Investment Management
Hans Stoter, Chief Investment Officer bei ING Investment Management

Hans Stoter, Chief Investment Officer bei ING Investment Management, erklärt im Interview mit fondstrends.ch, warum die Konvergenz der EU-Länder ein Garant für den Euro ist.

19.04.2013, 09:33 Uhr

Redaktion: dab

Herr Stoter, welchen Verlauf wird die EWU-Krise Ihrer Ansicht nach nehmen? Wäre das "Durchhangel-Szenario" das beste Szenario für Credit oder gibt es ein besseres?
Stoter: Ich bin der Meinung, dass kurzfristig ein weiteres Durchkämpfen am wahrscheinlichsten ist. Aber man kann Probleme nicht ewig aussitzen. Also muss eine dauerhaftere Lösung her. Was wir meiner Meinung nach in der Eurozone brauchen, ist ein Euro, der nur funktioniert, wenn die Einzelstaaten sich nur marginal in ihren Volkswirtschaften unterscheiden.

Nach Einführung des Euro war das so, aber dann nahm die Kluft zwischen den Peripheriestaaten einerseits und Deutschland andererseits zu. Jetzt werden aber auch die Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden und auch Frankreich immer grösser. Langfristig ist meiner Überzeugung nach Konvergenz erforderlich, das heisst, wir müssen erst eine geringere Divergenz zwischen den Ländern erreichen.

Ich glaube auch, dass ein Auseinanderbrechen der Eurozone recht unwahrscheinlich ist. Die Vorteile des Euro wiegen dessen Nachteile klar auf. Die Märkte werden sich also darauf einstellen müssen, dass die Länder irgendwann konvergieren. Dies gilt auch für ihre Zinssätze. Aber das wird ein volatiler Prozess werden.

Ist das ein gutes Szenario, um in Unternehmensanleihen zu investieren?
Definitiv für Unternehmensanleihen der Peripherie. Für deutsche Unternehmensanleihen allerdings etwas weniger. Nach meiner Meinung schneidet Credit in Märkten mit niedrigem, aber positivem Wachstum generell gut ab, also dann, wenn Unternehmen nicht allzu zuversichtlich in die Zukunft schauen und nicht zu selbstverständlich davon ausgehen, Shareholder Value schaffen zu können. Langfristig halten wir als ING Investment Management nach Unternehmen Ausschau, die positive Cashflows aufweisen, um diese zur Tilgung von Schulden zu nutzen. Und die damit Wert für Anleiheinhaber anstatt für Aktionäre schaffen.

Eine Fiskalunion, die das Risiko eliminiert, ist nicht notwendigerweise die beste Lösung. Der teuerste Markt für Credit ist zurzeit Japan, wo die Spreads am engsten sind. Und Japan ist sicherlich nicht die beste Volkswirtschaft. Insofern denke ich, dass man, solange das "Durchhangel-Szenario" anhält, auf Credit setzen sollte. Wenn erst einmal die Fiskalunion da ist und wir nach weiterem Wachstum Ausschau halten, wird sich bereits die nächste Kreditblase aufbauen. Bis dahin wird es jedoch wegen der systemischen Ungleichgewichte und der niedrigen Arbeitslosenrate noch eine Weile dauern.

Und wie weit sind wir bereits?
Das hängt von den Politikern ab. Insofern ist das eine sehr schwierige Frage. Es lässt sich kaum voraussagen, welche Politiker in der Lage sein werden, ihre eigenen Wähler davon zu überzeugen, dass es besser ist, zusammenzuarbeiten als allein da zu stehen. Und von unseren Politikern hören wir ständig widersprüchliche Aussagen: Einem europäischen Publikum erzählen sie das eine und ihren lokalen Wählern das andere, nämlich etwas, das in der Regel deutlich europakritischer ist. Letztendlich werden sie sicherlich das Richtige tun. Europa-Optimismus und der Zwang, den Ländern an der Peripherie auszuhelfen, führen zu Wahlschlappen im Norden. Doch die strikte Sparpolitik im Süden hat die gleichen Konsequenzen, nämlich Wahlverluste. Insofern wird es noch eine Weile dauern, bis wir dort angelangt sind.

2012 war ein sehr gutes Jahr für Credit. Glauben Sie, dass die Investoren weiterhin so viel Kapital in Credit investieren werden?
Ja, das ist meiner Meinung nach in der Tat der Fall. Wir erleben das jeden Tag mit unseren eigenen ING-Fonds. Wir haben jeden Tag positive Kapitalflüsse. Und zwar sowohl von Privatanlegern als auch institutionellen Investoren. Ich glaube, dass der Wandel in der Gewichtung eher strukturell ist. Vor allem auf der institutionellen Seite. Retail ist in der Regel etwas opportunistischer und wird sich, meine ich, auch von Credit als Anlageform wieder zu Aktien verlagern, sobald mehr Sicherheit im Hinblick auf die Aussichten der Weltkonjunktur und die Stabilität in der Eurozone besteht. Doch auf der institutionellen Seite basieren die Portfolios seit jeher auf sicheren Staatsanleihen als Ausgangspunkt. Doch für Obligationenfonds oder Versicherungen ist es nicht besonders attraktiv, Kapital in Anleihen anzulegen, die nur 1,5 Prozent abwerfen, und zwar aus dem einfachen Grund, dass man das Geschäftsmodell einer Versicherungsgesellschaft nicht mit Renditen von 1,5 Prozent finanzieren kann. Man benötigt also Renditen von 3, 4, 5 Prozent. Ausserdem geht es Versicherungen um niedrig volatile Anlageziele. Ich treffe daher viele institutionelle Anleger, die mir sagen, dass sie die Investition in High Yield erwägen oder dass sie ihr bestehendes Engagement in diesem Bereich ausbauen wollen.

Und würden Sie sagen, dass hier die Differenzierung zwischen taktischem Kapital und strategischem Kapital zum Tragen kommt, wenn dieses Kapital in Credit investiert wird?
Ja, es ist schwer, Investoren zu finden, die momentan nicht bei Credits übergewichtet sind. Aber ich denke, dass diese Übergewichtungen strukturell werden. Die Umschichtung in Aktien, die wir erleben werden, beginnt mit Cash und fängt jetzt bereits an. Und diese Verlagerung wird zulasten von Staatsanleihen und nicht von Unternehmensanleihen stattfinden. Was wir also glauben ist, dass bei den aktuellen Zinssätzen und ihrer unserer Ansicht nach wahrscheinlichen mittelfristigen Entwicklung Credits statt Staatsanleihen für viele institutionelle Investoren oder wohlhabende Privatleute den Kern ihrer Portfolios darstellen werden. Schon allein deswegen, weil man mit Staatsanleihen kein Geld machen kann. Ich glaube nicht daran, dass die Zinsen in Europa sehr schnell steigen werden. Die längerfristigen Zinssätze hängen von Inflationsrate, Wachstum und auch vom Niveau der Kurzfristsätze ab. Und alle drei sind derzeit niedrig in Europa. Daher meine ich, dass die Wahrscheinlichkeit eines deutlichen Anstiegs der Zinsen in Europa eher begrenzt ist. In den USA mag das etwas anders sein. Daher gehen wir für das Gesamtjahr von einer Rendite von insgesamt 5,6 Prozent aus.

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